Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

GFPS e. V. > Programm > Archiv > 2005 > Städtetage

Der Himmel über Berlin

Ich stieg in die fast leere U-Bahn ein. Nur ein paar bunt gekleidete Jungen, eine Oma mit ihrem Mann und ein gut aussehender Mann saßen da. Ich war in Berlin, auf dem Weg zu den Städtetagen der GFPS. Ich nahm Platz, hoffend, dass ich mich in der richtigen U-Bahn befand. Das war sie, meine Fahrkarte allerdings nicht. Ich hatte sie nicht entwertet. Ich wollte es, aber es erwies sich in der Bahn als unmöglich. »Möchtest du abstempeln, oder?«, sagte der Gutaussehende, als er meine bekümmerte Miene bemerkte. »Du musst es auf dem Bahnsteig machen. Ich halte dir die Tür auf!«

Johannes, so hieß der Gutaussehende, war echt nett. Nachdem ich meine Karte abgestempelt hatte, führte er mich zum Ziel meiner Reise, sogar bis zur Tür des Gemeindehauses der Evangelischen Kirchengemeinde Galiläa Samariter mit dem Zettel »GFPS e. V.«.

Wie fast immer hatte ich einen ungeheuren Hunger. Das Abendessen war zum Glück noch nicht vorbei. Man aß und lachte. Ich kannte kaum jemanden, einige Leute hatte ich vorher nur per E-Mail kennen gelernt. Irgendwie komisch, angenehm und faszinierend war es gewesen, jemanden zu schreiben, den man nicht kennt. Man trifft sich danach dann persönlich, sagt »Das bin ich«, antwortet »und das ich« und alles ist schon klar.

Am ersten Abend standen Integrationsspiele auf dem Programm. Das klingt nicht besonders spannend, muss aber auch nicht langweilig sein. Seit meiner Kindheit, assoziiere ich das Wort »spielen« mit dem Wort »verlieren«. Sie kommen bei mir irgendwie gemeinsam vor. Bei den Integrationsspielen gab es aber zum Glück keine Verlierer! Lachen und gute Laune waren dagegen bestimmend. Dank der Spiele lernte ich alle Namen der anderen Teilnehmer kennen.

Danach hielt Sebastian vom Vorstand der GFPS e. V. einen kurzen Vortrag. Er erzählte zuerst allgemein über die GFPS, ihre Ideen und Ziele, und wie die Abkürzung des Vereins entstanden war. Ich erinnerte mich, dass jemand einmal auf meine Frage, was eigentlich die GFPS sei, etwa auf diese Art und Weise antwortete: »Weiß du, man könnte sagen, GFPS ist ein Programm.« »Ein Programm?«, wiederholte ich leise das in diesem Hinblick ein bißchen verdächtige Wort und fühlte mich wie in einer Matrix.

Schließlich bekamen die Stipendiaten das Wort. Wir sagten, was uns in Deutschland und an unseren Universitäten gefällt und was nicht. Darüber, was wir schon bewältigen konnten und was leider gescheitert war, wie wir wohnten und was wir vorhatten. Agnieszka und Paweł waren voll zufrieden, Marta hatte einige Probleme mit einem Assistenten an der Universität, der überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollte, dass die GFPS existiert. Ich wollte zwar möglichst kurz reden, erzählte dann aber über mein neues Fahrrad, über die Leute in meinem Studentenwohnheim und über den Herren, der in der Bibliothek sitzt und der ohne Erfolg ständig versucht streng zu sein.

Danach folgten Bier, Billard, viel Lachen und langes Reden. Nach dem Kneipenbesuch konnten wir endlich sagen: »Ja, wir wollen schlafen, wir wollen ins Bett.« Im Gemeindehaus schliefen wir schnell in unseren Schlafsäcken ein. Am nächsten Morgen waren wir voller Energie. Vielleicht war das die heilende Wirkung der Berliner Luft.

[Photo] Jan als Stadtführer
Jan als Stadtführer. Jan mit dem weltweiten Erkennungszeichen der Stadtführer: Dem Regenschirm

Nach dem Frühstück besichtigten wir die Stadt. Jan vom Vorstand war unser Stadtführer. Leider regnete es unaufhörlich. Trotzdem machten wir Fotos, auf denen wir mit unseren linken Beinen im ehemaligen West- und mit rechten Beinen im ehemaligen Ostberlin standen. Oder war es mit den Beinen umgekehrt? So oder so, es war sehr schön, dass wir solche Fotos machen konnten. Wer hätte noch vor 20 Jahren daran gedacht?

Nach dem Mittagessen in der Mensa der HU landeten wir im Bundestag. Wir trafen Friedrich Bokern, einen wissenschaftliche Mitbearbeiter des Europaausschusses. Er erzählte über seine Arbeit, die Politik der EU und schließlich das normale Bundestagsleben. Der Besuch im Bundestag war hervorragend. Vielleicht auch deswegen, weil der Bundestag nicht nur einfach ein Gebäude ist. Er ist gleichzeitig ein Museum der Geschichte. Wir sahen die Unterschriften russischer Soldaten an den Wänden und ein Teil des Tunnels, durch den 1933 wahrscheinlich die Brandstifter des Reichstages flohen.

[Photo] Reichstagskuppel
Reichstagskuppel. Auf der Dachterrasse des Reichstags

Ich dachte irgendwann mal, vielleicht streiten sich die Politiker hier nicht so heftig wie in Polen, vielleicht ist man in dieser Umgebung, in solchen Räumen einfach mehr kompromißbereit. Was die Architektur angeht, bin ich natürlich kein Experte. Ich weiß nicht, ob die Mischung aus alten Steinen, Stahl und Glas meinen Geschmack trifft. Eins ist aber für mich sicher. Die Idee des Gebäudes ist besonders und nicht kitschig, ihre Verwirklichung perfekt.

[Photo] Volles Haus bei der Lesung
Volles Haus bei der Lesung. mit Jaroslav im Tschechischen Zentrum

Das Ende des Tages verbrachten wir im Tschechischen Zentrum. Der Höhepunkt war eine Lesung von Jaroslav Rudiš. Er hatte sein Buch »Himmel über Berlin« während seines Studienaufenthaltes in der Hauptstadt verfasst wurde. Wir amüsierten uns sehr, vor allem als Jaroslav das Lied »Ich bin Berlin« zu singen begann. Nach der Lesung fanden die feierliche Urkundenvergabe an die Stipendiaten und danach ein Buffet statt. Alle aßen, tranken, lachten und unterhielten sich. Der schöne und anstrengende Tag war vorbei.

Es war acht Uhr morgens, als Jana, die Chefin der Stadtgruppe Berlin, die die Städtetage bis zum kleinsten Detail organisiert hatte und über ihren richtigen Verlauf ständig wachte, uns am nächsten Tag mit lauter Stimme weckte: »Guuuten Mooorgen!« Wir hatten, Schwierigkeiten so voller Energie wie am Vortag aufzustehen. Während des Frühstücks tranken wir wesentlich mehr Kaffee. Verlor die Berliner Luft ihre zauberhafte Wirkung?

[Photo] Umweltworkshop
Umweltworkshop. Ergebnisse des Umweltworkshops mit Uwe

Als erstes stand an diesem Tag ein Workshop zum Thema »Umweltwahrnehmung in der Tschechischen Republik, Polen und Deutschland« an, der von Uwe geführt wurde. Wir diskutierten, ob und wo wir schon mit der Müllsortierung zu tun hatten und ob das unserer Meinung nach überhaupt einen Sinn hat. Schließlich bereiteten wir in Gruppen Präsentationen vor. Ziel war es, zu zeigen, was wir als Stadtrat tun würden, wenn wir in unserer Stadt Probleme mit Müll hätten. Es war nicht einfach, gleichzeitig die objektiven Bedürfnisse, den Geldmangel und das Streben nach politischen Erfolg im Auge zu behalten.

Nach dem Mittagessen begaben wir uns ins Jüdische Museum, wo wir an einer Führung zum Thema »Jüdisches Leben, jüdische Tradition« teilnahmen. Das Museum machte auf uns wegen seiner modernen Architektur, der Menge und Vielfalt der ausgestellten Exponate einen großen Eindruck. Nach der kulturellen Entdeckung Berlins gab es ein kulinarisches Erlebnis: Wir waren im Döner-Imbiß. Satt und zufrieden fuhren wir an den Wannsee, wo im Biergarten Loretta der Abschlußabend stattfand. Die Stipendiaten, GFPSler, Freunde und Bekannte der GFPS waren da. Das Gewimmel war riesig. Alle lachten, redeten, planten dies oder das.

Schließlich kam für uns am Sonntag das Ende unserer Städtetage. Es gab Umarmungen, Pläne gegenseitiger Besuche und ein großes Dankeschön an die Organisatorin Jana und den Vorstand, Juliane, Jan, Nina, Dorina, Peter und Sebastian. Die gemeinsame Zeit war vorbei. Ein Schritt in Richtung Völkerverständigung wurde gemacht. Weiter so!

Zbigniew Barwina