Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Bericht der Städtetage in Torun (22.-25.3.2007)

Lennart Lehmhaus

Toruń- Stadt himmlischer Freuden und irdischer Genüsse

Viel Regen war angesagt. Immer noch besser als deutscher Schneematsch. Also nichts wie auf zu den Städtetagen, zu denen die GFPS Polska vom 22. bis 25. März nach Toruń eingeladen hatte. So viele folgten der Einladung, dass, auch wegen der Hauptversammlung und den Vorstandstwahlen, im Laufe des Seminars weit über 50 Teilnehmer gezählt wurden, unter denen sich natürlich die deutschen Stipendiaten, polnische Vorstände und Stadtgruppen, aber auch ehemalige Stips, Alt-GFPSler und vereinzelt deutsche Vorständler fanden. All diese wurden dann mit guter Stimmung und einem warmen Empfang belohnt, zu dem sich ab Samstag auch strahlend sonniges Frühlingswetter hinzugesellte. Basislager für die Erkundung der alten und neuen Stadtgeschichte war eine zentrumsnahe Herberge, deren real-sozialistischer Charme vergangener Tage von der Herzlichkeit der Empfangsdamen und einen im Keller angeschlossenen Jazz-Klub aufgewogen wurde. Neben günstigen Bierpreisen bot dieser auch genügend Platz für obgligatorische Integrationsspiele und ein multilinguales Karaoke, mit dem am Donnerstag die Städtetage begannen und der Abend (spät) endete. Leider konnte sich der musikalische Klubbetreiber nicht recht auf unsere Gruppe eingrooven, was nicht nur an seiner sehr freien Interpretation der für Seminare essentiellen, weil neue Lebensgeister weckenden Heißgetränke Kaffee und Tee lag. So wurden die Frühstücke und Abendessen von unseren tapferen Organisatoren fortan in Form eines szwedzki stół (nein, nicht IKEA) im kleinen Gemeinschaftraum improvisiert, was zum einen vielfältigere Speisen und zum anderen viele anregende Begegnungen und Gespräche mit sich brachte als sie in einem normaleren Rahmen möglich gewesen wären.

Der Freitag begann mit dem offiziellen Teil des Programms. In einem eleganten Prunksaal des Artushofes (dwór Artusa) wurden die Stipendiaten vom stellvertretenden Bürgermeister Toruns, einem ehemaligen GFPS-Stipendiaten und jetzigen Professor der Geschichte sowie von Vertretern des GFPS- Vorstandes und der Stadtgruppe Toruń begrüßt. Nach einem Referat, das die komplexe und multiethnische Vergangenheit der ehemaligen Hansestadt vermittelte, wurden dann die Stipendienurkunden feierlich überreicht. Anschließend begab man sich zu Fuß mit einem deutschsprachigen Touristenführer und seinem sprechenden Bauch (poln. Teilnehmerin zur Lautsprecherbox) auf die steinernen Spuren deutsch-polnischer Historie, die wie fast alles in Toruń früher oder später zum berühmten Astronomen Kopernikus führten. Doch bevor wir uns in den Weiten des Alls verlieren konnten, ging es ins Lebkuchenmuseum. ( Ohne etwaige Spione aus Nürnberg oder Diebe aus Łódz - der Gleichklang z Łodzi, aus Łódz, und złodziej, Dieb, hatte zu witzigen Verwirrungen geführt). So wurden wir in die Herstellung des touristisch wahrscheinlich wichtigsten Exportprodukts der Stadt eingweiht. Zusammen mit einem derb altpolnisch sprechenden Bäcker und einer rothaarigen Kräuterhexe durften die Lehrlinge der GFPS ihre eigenen Lebkuchen backen und einige wagten, ohne das Mittagessen in der Bar U Małgorzaty abzuwarten, gar den Verzehr dieser reinen Zierobjekte. Nach dem Essen konnten die Teilnehmer dann auf eigene Faust ein wenig die hübsche Altstadt und ihre zahlreichen Kaffeehäuser und Teestuben erkunden. Nachmittags widmete man sich dann im Kulturzentrum Dom muz den Künsten. Ein Workshop mit einem Gründer der Gruppe klärte über die Strömungen der polnischen Fotografie der 1960er und den Übergang zum digitalen Zeitalter auf. Ein anderer Kurs versuchte, den Teilnehmern die Möglichkeiten des theatralen Ausdrucks und szenischen Interaktion zu vermitteln. Beschlossen werden konnte der lange Abend dann nächtens am Kamin im schiefen Turm, einer Kneipe im alten Holzbau an der Stadtmauer.

Frisch gestärkt machte sich Samstag ein Teil der Gruppe früh auf, um sich auf der Sitzung der GFPS Polska den Vereinsinterna und den Vorstandswahlen zu widmen. Die anderen versuchten derweil, einen Foto-Marathon zu absolvieren. Dabei mussten markante Punkte im Stadtbild Toruńs ausfindig gemacht und markiert werden. Zudem mussten fotografisch bestimmte Motive festgehalten (z.B. das verrückte Torun) und Fragen (Drei Kneipen nicht von dieser Welt?) werden. Im strahlenden Sonnenschein durchstreiften so mit digitalen Kameras ausgerüstete Stipendiaten und andere Teilnehmer die Gassen und Plätze. Nach dem Mittagessen bei Małgorzata durften wir nun endlich dem höchsten Sohn der Stadt ein wenig nähertreten im Geburtshaus Kopernikus`, das heute ein Museum beherbergt und eine fast schon multimedial zu nennende Präsentation dessen Biografie und der Stadtgeschichte bietet. Da wir uns dort bereits dem heliozentrischen Modell des Astronomen, dass die Erde und Toruń sich um die Sonne drehen und nicht etwa um Lebkuchen, angenähert hatten, suchten wir dessen Bestätigung anschließend bei einem Besuch des Planetariums. Dort wurde uns im bequemen Halbdunkel an der Kuppel die Geschichte der Sternenforschung in den verschiedenen Kulturen und Epochen durch farbenfrohe, kinderfreundliche Zeichnungen erläutert. Nach dem ein oder anderen Kaffee oder einem Stückchen Kuchen (nicht Lebkuchen) war noch genügend freie Zeit eingeplant, um den warmen Frühlingsnachmittag zu genießen. Abends sollte dann die studentische Disco-Kneipe Klub Kadr als Kaderschmiede für zukünftige GFPS-Kandidaten der allseits beliebten Prominenten-Tanzshows (in Polen: Taniec z gwiazdami) dienen. Die wilde impreza (Party) wurde in einer ruhigeren Minute dann auch genutzt, um den alten Vorstand mit großem Dank zu verabschieden und die frisch gewählten Vertreter der GFPS-Polska zu begrüßen.

Die Zeitumstellung auf Sonntag sorgte am Morgen für ein wenig übermüdete Gesichter bei allen Teilnehmern, die nach einem schnellen Frühstück bereits begannen, sich nach interessanten Erlebnisse und mit neuen und alten Bekannten wieder in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Für Konditionsstarke bot sich noch die Möglichkeit eines Besuchs im ethnografischen Freilichtmuseum. Dort wurde mittels originaler Holzbauten das ländliche Leben Nordpolens anschaulich gemacht. Dazu konnten auf dem Oster-Jahrmarkt traditionelle Speisen wie Bigos, Żurek oder Bratwurst probiert und auch ganz direkt der sonntägliche, polnische Familienausflug miterlebt werden. Im Gepäck viel obligatorisches Lebkuchen-Proviant, erfahrenes Wissen über alte Zeiten und neue Kontakte bereichterte Toruń um die tolle Erfahrung, dass auch solch kleinere polnischen Städte ihren ganz eigenen Zauber durch ihre spezifische Atmosphäre zu bieten haben, weil sie, obwohl mit irdischen Genüssen reich gesegnet, nicht ganz von dieser Welt zu sein scheinen.

Lennart Lehmhaus