Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Besichtigung der alten Republik – kleine Institutionenlehre

Bericht über den Ausflug der Stadtgruppe Mainz nach Bonn am 29.07.2007

Bonn ist schon immer ein Dorf gewesen und natürlich regnete es zu Regierungssitzzeiten auch schon Bindfäden im Juli, obwohl Ende Juli laut Kalender noch den Hochsommerperioden zugeschlagen wird.

[Photo] Ola und Sarah in Bonn
Ola und Sarah in Bonn. Mainz zu Gast in Bonn: Stipendiatin Ola Górska (li.) und Stadtgruppenleiterin Sarah Schneider tagen im ehemaligen Plenarsaal (Bundeshaus) auch mal über dem Bundesadler.

Das zumindest hat sich also nicht geändert, denken wir, als unter nervös schabenden Scheibenwischerblättern die Autozufahrt zum Haus der Geschichte auf der Adenauerallee gesucht wird. Die kleine Stadtgruppe Mainz trifft sich im S-Bahn-Foyer Heussalle, zugleich Zugang zur Stiftung Museum HdG, mit der GFPS-Stipendiatin Ola Górska. Ola wird für das Studiensemester 2007/08 in Mainz Archäologie belegen. Derzeit ist sie in Rheinbach bei Bonn zu einem Sprachkurs und das ist eine gute Gelegenheit, neben dem persönlichen Kennenlernen bundesdeutsche Programmpunkte in der Ex-Hauptstadt zu absolvieren. Bonn – noch immer eine Stadt mit einem sehr eigenen Charme.

Der Charakter der Adenauerjahre als Günderjahre der sog. Bonner Republik hat sich nie wirklich aus den städtebaulichen Konstruktionen geschlichen. Neben Bundeskunsthalle und stets unter dem wachsamen Blick des Telekomstifts hat sich 2006 die UN mit einem UN-Campus in der Stadt noch fester etabliert. Bonn selbst darf sich seit 1996 UN-Stadt nennen. Große Namen, die das beschauliche Rheinstädtchen nicht scheut. Und trotzdem will kein großstädtischer Reflex aufkommen – auch oder gerade nicht im Regierungsviertel. Dafür ist man schnell angekommen.

Wir besuchen zur Akklimatisation die Dauerausstellung im Haus der Geschichte und durchwandern zunächst die Wechselausstellung zu Juden im Exil. Die museumspädagogisch wie gewohnt wertvoll aufbereitete Darbietung der Exponate informiert uns über die Reisewege vornehmlich deutscher Juden und ihre Ziele in aller Welt. Erinnerungen an die Ursache zur oft übereilten Flucht bestehen häufig aus Fotos, interaktiven Videopräsentationen und vielen Originalschriftstücken. Nicht alles liegt hinter Glas, das Einbeziehen der Wände, die Belegung des gesamten Raumes schaffen eine Atmosphäre zwischen beobachtender Distanz und anschauungsprägsamer Nähe.

Die Zeit verfliegt und fast verpassen wir den Anschluss an die geführte Besuchergruppe zur Besichtigung des Bundesrates. Ebenfalls ein Angebot des HdG nimmt uns ein hervorragender Mitarbeiter des Stiftungsmuseums an der Hand. Neben den Erläuterungen städtebaulicher- und investitionspolitischer Art auf dem kurzen Hinweg vermag er es mit Witz, Verve und gekonnter Einbindung des gefesselten Publikums die Arbeitsweise des Bundesrates transparent, lebendig und so erinnerungsmächtig zu machen. Wir alle werden zu Abgeordneten, wir vertreten unser jeweiliges Bundesland, wissen jetzt wie viele Stimmen wir haben und warum sie uns zustehen. Wir wissen, wie wir abstimmen und werden ggfs. selbst zu Vorsitzenden und Präsidenten am Rednerpult.

Auch der architektonische Beweggrund für die große Fensterfront im Rücken der halbreisförmig angelegten Abgeordnetensitze wird nochmals anschaulich: Die Nähe zum Bürger, die hineinschauen, die Abgeordneten, die zu Hinauschauenden werden und ihr Volk nie vergessen, letztlich die Transparenz des Verfahrens finden sich hier in in Stein und Glas geformt. Und wieder die Lampen, Tapeten und Teppichböden der Adenauerjahre, es hat sich scheinbar nichts verändert und die Strenge des Arrangements mit dem leicht kellerartigen Geruch gemahnen an eine Contenance, die noch nicht von durch omnipräsente Kameralinsen hervorgerufenen politischen Slapstick verwässert war. Goldene Tage?

Nun, am Verfahren und der Bedeutung des Bunderates für die bundesdeutsche Politik hat sich nichts geändert. Erstaunt zeigen sich nur alle über die so geringe Einspruchsquote des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren. Eine Medienrealität. Es wird immer nur dann berichtet, wenn es Schwierigkeiten gibt. Die über 90%ige Zustimmung, das „Glatt-Laufen” des Verfahrens sind nicht der medialen Erwähnung wert. Dank geht an den Nachrichtenfaktor Negativismus (F12, Galtung/Ruge: 1965).

Die eigentlich für umfangreicher und thematisch herausragender gehaltene Tour steht am Nachmittag mit der Besichtigung des neuen/alten Plenarsaals an. Der Bundestag ist die andere große Adresse im Regierungsviertel. Kurz vor dem Umzug nach Bonn fertiggestellt, die Abgeordneten tagten derweil provisorisch im alten Wasserwerk, ist er nun Sitzungs-und Konferenzort für Gesellschaften, die es sich leisten können oder gerne mal unter dem Bundesadler tagen.

Natürlich hat auch die UN von dieser logistischen Rafinesse profitieren können, im übrigen wird das nun sog. World Congress Center Bonn in privater Trägerschaft geführt, wobei die UN als gerngesehener Gast den Bundesadler zu Tagungszusammenkünften abhängen darf. Sie legt tatsächlich mehr Wert auf die aufwendige Ausstattung und die Asthetik blauer Stühle auf hellem Parkett, als dem Gepräge von Bundesoffizialia, in dessen Schein die übrigen Mieter sich gerne sonnen.

Die originalen Hammelsprungtüren sind das erste, neben der GlasWellenArchitektur, worauf uns die Führerin aufmerksam macht. Insgesamt gibt es hier enttäuschenderweise verglichen mit dem Bundesrat weniger zu sehen und zu lernen. Außer dem Gefühl, endlich mal live an dem Ort zu sitzen, an den man sich dunkel aus vergangenen Tagen der Fernsehtagesschau zu erinnern glaubt. Übrigens ein Eindruck, den Ola natürlich gar nicht teilen kann. Über die architektonischen Einfälle, auch einer Art Scheiterhaufen hinter Glas, lässt sich geschmacklich natürlich nicht streiten, dennoch aber geflissentlich heruminterpretieren.

Mit diesen Eindrücken, die den grauen Schleier am Himmel fast vergessen machten, verlassen wir den „Pfad der Demokratie”, der als Weg firmierend durch das Bundesviertel auch inhaltlich und tatsächlich landschaftlich-historisch äußerst reizvoll für Touristen und Bundesbürger gewissermassen in das alte Bonn der Regierungssitzzeit führt. Beim nächsten Mal, so gedachten wir bei unserem abschließenden Café auf der hoffnungslos überfüllten Museumsempore, müssten wir uns neben Beethovenhaus unbedingt das Adenauer-Haus und natürlich das kleine Bonner Nachtleben ansehen.

Viele Grüße an unsere Stipendiatin und ein Aufruf zur Besichtigung an alle historisch-politisch Interessierten nach Bonn – es lohnt sich!

Sarah Schneider