Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

GFPS e. V. > Programm > Archiv > 2006 > Die Zukunft Europas

Auf der Suche nach Verständigung

„Die Deutsch-Polnischen Beziehungen sind eine komplizierte Angelegenheit.“ So liesse sich der Ausspruch von Prof. Dr. Hellmann als Quintessenz der Deutsch-Polnischen Veranstaltung im Rahmen der Europa-Woche formulieren. Ein 3-tägiger Workshop (08.-10.05.2006) unter der Leitung des GFPS-Stipendiaten Tomasz Lachacz wurde am letzten Abend mit einer Expertendiskussion im Casino der Uni Frankfurt beschlossen.

Frankfurt a.M. 10.05.2006

„Frau Steinbach hat leider ganz kurzfristig abgesagt.” Nicht, dass man wegen Frau Steinbach gekommen wäre, doch hatten die drei Tage des vorgangegangen Planspiels auch das Thema „Zentrum gegen Vertreibung” thematisiert, das in polnischen Köpfen noch immer emotionale Reaktionen auslöst, während nur poleninteressierte Studierende den Namen Steinbach nicht zuerst und aussschließlich mit dem Leiter des Deutschen Orient-Instituts verbinden.
Dafür hatte Dr. Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen Instituts in Darmstadt sein Versprechen wahrgemacht und setzte den Dialog der deutsch-polnischen Teilnehmer interessiert fort.

Die Diskussionsrunde mit Dieter Bingen und Prof. Dr. Gunther Hellmann von der Uni Frankfurt setzte den programmatischen Schlußpunkt eines Dreitägigen Workshops zum Thema: Zukunft Europas-Die Deutsch-Polnischen Beziehungen. Ziel des von GFPS-Stipendiat Tomasz Lachacz (Universität Olsztyn/ PL) initiierten Projektes war das spielerische Kennenlernen und Einfühlen in die jeweils andere Seite der Oder. Die 16 Teilnehmer wurden in insgesamt fünf Gruppen aus jeweils deutschen und polnischen Studierenden eingeteilt. Sodann sollten sie im Rahmen eines Planspiels, das eine konkrete Problemlage fokussierte, verschiedene Positionen rund um die Themen Vertreibung, Errichtung einer gemeinsamen Gedenkstätte und Fragen zur Alltagspolitik der bilateralen Beziehungen einnehmen. Die konkreten Vorgaben der Gruppen aus den Fallanalysen sollten schließlich in der Formulierung einer gemeinsamen Lösung der Aufgabenstellung münden.

Zu Beginn der Diskussion stellten Vertreterinnen der beiden Studierendengruppen die maßgeblichen Erfahrungen vor. Auf polnischer Seite trug Bogumiła Dąbrowska die Ergebnisse vor. Auf deutscher Seite berichtete Carola Söller. Beide Teilnehmerinnen beklagten ungeahnte Schwierigkeiten bei der Überwindung von Standpunkten, obwohl es ja „nur ein Spiel gewesen sei.” Man könne nun aber das Aufkommen von Emotionen auch der anderen Seite nun viel besser verstehen. Damit lobten die Teilnehmerinnen die Gestaltung des Workshops. Das Planspiel sei eine eindringliche und wirksame Form zur Überwindung der eigenen Perspektive und dem Mut zu mehr Empathie für die Gegenseite. Sicher habe es auch Verstimmungen gegeben. Das habe gezeigt, wie sensibel das Thema noch immer sei. Doch einstimmig wurde unterstrichen, dass miteinander Reden die einzige Form der Problemlösung und somit der langfristigen Annäherung sei.

Genau das bestätigte auch Dieter Bingen. In seinen Ausführungen bemühte er sich nochmals, das Polnisch-Deutsche Tandem als einen Motor für die Europäische Union zu beschreiben. Dazu sei ein selbstbewußtes Polen nötig. Ein Blick in die jüngste und jüngere Vergangenheit zeige eine durchaus tragfähige Verbindung zwischen Polen und Deutschland, die auf der Ebene der Bevölkerung ohnehin, aber auch zwischen den Kirchen existiere. Der Versuch einer Annäherung zwischen jungen Konservativen in Deutschland und der damaligen polnischen Exilregierung in Großbritannien seien bereits Versuche gewesen, an die man sich erinnern müsse. Die Nachkriegsgeschichte beider Länder sei Grundlage für die heutigen Entscheidungen. Und da müssten die Politiken des jeweils anderen Landes eine Rolle in der eigenen Gestaltung der Beziehungen spielen. Oft habe man den Eindruck, auf allen Eben laufe es gut, bloß auf der Politikebene sei man noch hintendran.

Natürlich sei der Freunschaftsvertrag vom 17.06.1991 eine strategische Entscheidung gewesen. Nichtsdestotrotz sei eine strategische Entscheidung dazu da, den Rahmen für spätere Verschränkungen von Politiken zu setzen, womit sich Bingen auf Helga Haftendorn bezog.

Natürlich waren auch Themen der aktuellen Tagespolitik bestimmend. So kam das Gespräch mehrere Male auf die Ostseepipeline zurück. Angeschlossen wurde die Frage, wie Deutschland ein Partner für Polen und für Russland gleichermaßen sein könne. Hier erinnerte Bingen an zweierlei: Zum einen hätte man die Polen frühzeitig in Gespräche um die Pipeline eingebunden, was jedoch von polnischner Seite nicht genutzt worden sei. Sodann müsse man die Frage stellen, inwieweit mit Russland als Partner sich eine EU-Beitrittsperspektive für Länder wie Ukraine und Belarus stellen würde. Derzeit sei eine Europäische AG eingerichtet, die eben jene Fragen der Pipeline und der Partner in Verfahrensfragen beraten wolle.

Ähnliches zum Irakkrieg. Man müsse die alten Verbindungen zwischen USA und Polen berücksichtigen. Im Nachhinein habe sich vielleicht die Haltung Schröders und Chiracs als korrekt herausgestellt, doch wäre es zu keiner Zeit ein Problem gewesen, auf der einen Seite aus alten Solidaritäten heraus einen Brief der Acht zu unterzeichnen, sich zugleich jedoch mit den beiden Regierungschefs in Frankreich und Deutschland zu verständgen, Positionen zu klären und um Verständnis zu werben. Das hätte das Aufkommen von Verstimmungen verhindern können. Leider habe man das versäumt. Stattdessen habe man in einem „psychologischen Diskomfort” gelebt, wie Bingen sich ausdrückte.

Auch fehle Polen, zumal unter der jetzigen Regierung, eine Strategie für Europa. Ziele müssten nun im Rahmen der europäischen Partnerschften seit 2004 im Sinne von Intergration neu definiert werden.

Doch auch an anderer Stelle zeigten sich im Deutsch-Polnischen Verhältnis Asymmetrien. Angefangen bei der Sprache. Ein Europa, das nach Jahren des primär wirtschaftlichen Zusammenschlusses nun auf die Kultur setze, werde grundlegendes Miteinander durch die Kenntnis der jeweils anderen Sprache erlangen. Beim polnischen Spracherwerb in Deutschland seien die Defizite deutlich. Man müsse auch aus Gründen der Nobilitierung Polnisch als dritte Fremdsprache an deutschen Schulen etablieren. Jetzt endlich würden Schulbücher für diesen Gebrauch fertig gestellt. Polnisch, das sei längst nicht mehr nur die Sprache von alten Menschen und Spargelstechern.

Hinsichtlich der Öffnung des Arbeitsmarktes würden sich Sorgen als unbegründet erweisen. Wer in Deutschland arbeiten wolle, sei bereits hier.

Die Position innerhalb der Europäischen Union müsse aber sein: Deutschland und Polen sind als erste und einzige an einer Ostpolitik interessiert. Sie können hier Vorreiter sein und eine maßgbliche Rolle in der Gestaltung der Beziehungen zu potentiellen Anwärtern aus der ehemaligen Russischen Föderation sein.

Inwieweit diese Aufgaben von den Massenmedien wahrgenommen und auf die Agenda gesetzt würden, sei wiederum eine andere Frage.

Nachdem die Teilnehmer einen kurzen Stimmungsabstimmung zur Einschätzung der Zukunft der Europäischen Union abgegeben hatten, trat man bei bereitgestellten Häppchen und Sekt im Casinoflur der Frankfurter Universität zusammen, um Worten endlich Taten folgen zu lassen. Die persönlichen Beziehungen sind der Anfang aller grenzüberschreitenden Aktivitäten, die auf Dauer angelegt sind.

Und natürlich darf die angemessene Begehung erfolgreicher Workshopeilnahme nicht ohne außeruniversitäre Belohnung der legeren und liquiden Art beendet werden.

Der Dank von GFPS geht an die Organisation unseres Stipendiaten, Tomasz Lachacz und seinen Unterstützern Ulrich Roos und Beata Beringer, denen wir zur erfolgreichen Durchführung des Projekts gratulieren wollen. Besonders Tomek wünschen wir die Motivation für weitere Aufgaben dieser Art und dabei alles, alles Gute!

Sarah Schneider