Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Lebendige Nachbarschaft wächst von unten

Rede aus Anlaß des zehnjährigen Jubiläums der Gemeinschaft zur Förderung von Studienaufenthalten polnischer Studierender in Deutschland (GFPS) am 27. August 1994 in Baranów Sandomierski (Polen)

Vor zehn Jahren gründeten wir in einem Freiburger Studentenheim die GFPS. Da ich als einziger Vertreter der Gründer-Generation hier spreche, möchte ich die Atmosphäre jener Tage in Erinnerung rufen, die damalige Situation, unsere Motivation. Um dann schließlich zu fragen, ob die GFPS trotz des veränderten Kontextes noch einen Sinn hat und wenn ja, welchen Sinn.

I.

Da die Vorgeschichte zur Entstehung der GFPS, die bis ins Jahr 1981 zurückgeht, sicherlich bekannt ist (und im einzelnen in der druckfrischen Dokumentation nachzulesen ist), möchte ich mich bei meinem Rückblick auf die Monate unmittelbar vor der Vereinsgründung beschränken. Es war Sommer 1983. Mit einem selbstgebastelten Briefkopf, der damals schon den langen Namen »Gemeinschaft zur Förderung von Studienaufenthalten polnischer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland« trug, hatte ich vier Personen aus Lublin zum Sommersprachkurs an der Freiburger Universität eingeladen: Wojciech Chudy, später Vorsitzender der GFPS-Auswahlkommission in Lublin und Lech Ostasz, Philosophie-Student, ebenfalls aus Lublin, konnten kommen. Zwei weiteren eingeladenen Studenten war die Ausreise verweigert worden. Das Kriegsrecht in Polen lag noch nicht lange zurück. Lech hatte den dringenden Wunsch, nach Ende des Kurses noch ein Semester in Freiburg zu bleiben. So lange war die Liste der Bücher, die er studieren wollte, so viele Fragen hatte er mitgebracht, die er mit Freiburger Philosophen diskutieren wollte. Um Lechs Wunsch erfüllen zu können, waren zumindest 600 Mark pro Monat erforderlich, und dies fünf Monate lang.

Ich glaube, es war Thomas Kleine-Brockhoff, heute Redakteur der ZEIT, der sich die Aktion »30x20« ausdachte; wenn 30 Leute fünf Monate lang je 20 DM spenden würden, wäre das Ziel erreicht. Thomas nahm die Idee mit auf eine Polen-Exkursion des Historischen Seminars der Freiburger Universität. Auf der Rückfahrt von einem sehr gelungenen Polenaufenthalt, unter dessen Eindruck die Teilnehmer standen, griff er beherzt zum Mikrophon im wohl klimatisierten Reisebus und fragte, wer bereit sei, an dieser Aktion mitzumachen. Als die Liste, die er noch während der Heimfahrt in Umlauf gab, zu ihm zurückkam, hatten sich 22 Personen darauf eingetragen: Studenten und – wohlgemerkt – auch Professoren. Dies war der Nukleus der GFPS, die zuvor nur aus einem »Vorsitzenden und einer Kontonummer« bestanden hatte, wie dies einmal jemand ausdrückte. Die fehlenden acht Spender waren schnell gefunden. Lech Ostasz konnte im Wintersemester 1983/84 in Freiburg bleiben. Nach den beiden Germanistik-Studentinnen Anna Mielniczuk und Jola Zwolska, die bereits im Sommersemester 1981 dank studentischer Solidarität nach Freiburg kommen konnten, war Lech Ostasz der erste eigentliche Stipendiat der immer noch nicht als Verein gegründeten GFPS.

Die Vereinsgründung bereitete im Winter 1983/84 eine Gruppe von sieben Studentinnen und Studenten von jener Liste der 30 vor, die sich alle paar Wochen abwechselnd auf der Studentenbude eines der Teilnehmer trafen (Thomas Kleine-Brockhoff, Johannes Masing, Jola Zwolska, Ruth Emrich, Christel Zahlmann, Lech Ostasz und ich). Es war uns klar, daß wir die Aktion »30x20« nicht jedes Semester wiederholen könnten, daß wir nicht jedesmal wieder 30 Menschen mobilisieren könnten. Zugleich wollten wir die 30 bereits gefundenen Menschen irgendwie zusammenhalten, verhindern, daß sie auseinanderliefen. Dies hat uns dazu bewogen, einen Verein zu gründen. Die Juristen unter uns, das waren Johannes Masing und ich, wurden mit der Ausarbeitung einer Satzung beauftragt (was dann die erste praktische Anwendung unseres Studiums war), andere überlegten, wie man die Idee der GFPS an die Öffentlichkeit bringen könnte. Es kam der Gedanke eines Unterstützerkreises auf, dem bereitwillig unsere Freiburger Professoren, hauptsächlich Historiker und Juristen, beitraten. Eine Projekt-Mappe wurde erarbeitet, die wir an kluge, erfahrene Menschen, wie z.B. Karl Dedecius mit der Bitte um Kommentierung und Rat schickten.

Am 20. Februar 1984 war es schließlich soweit. 14 deutsche und 4 polnische Studenten trafen sich im Lesesaal des Freiburger Alban-Stoltz-Hauses und gründeten den Verein GFPS. Um die Idee unseres neuen Vereins der Öffentlichkeit vorzustellen, veranstalteten wir drei Monate später im Mai eine Gründungsfeier. Unsere kleine Projekt-Gruppe wälzte die Telefonbücher einschließlich der Gelben Seiten, um möglichst alle, die Rang und Namen in Freiburg hatten, dazu einzuladen. Von über 300 Eingeladenen kamen immerhin 75 Personen. Zu unserer Freude tauchten auch einige Symathisanten der GFPS-Idee aus anderen Städten auf, die auf wundersame Weise von der neuen Initiative Kunde erhalten hatten: aus Mainz kam Maria Zähres, ohne die – um es ganz knapp zu sagen – die GFPS nicht zehn Jahre alt geworden wäre. Andere kamen aus Heidelberg, Regensburg und München. Irgendwie hatte Radio Freies Europa von der Gründungsfeier erfahren und Andrzej Krzeczunowicz und seine Frau nach Freiburg geschickt (Herr Krzeczunowicz ist heute Botschafter der Republik Polen in Belgien). Es erklang deutsche und polnische Musik (Edyta Kosiel, Johannes Masing, Claudia Gillesen), es sprachen Jacek Wozniakowski und Kazimierz Wóycicki, es gab badischen Wein, seitdem auch unzertrennlicher Begleiter auf GFPS-Veranstaltungen. Damals im Mai fand auch eine der wenigen Pressekonferenzen in der GFPS-Geschichte statt, die ein überraschend großes Echo nicht nur in regionalen Medien hatte.

Es würde zu weit führen, darüber zu erzählen, wie sich die GFPS seit jenem Frühjahr 1984 entwickelt hat. Einiges dazu ist in der für den heutigen Tag vorbereiteten Dokumentation nachzulesen. Ich will nur erwähnen, daß es keineswegs selbstverständlich war, daß der Verein GFPS sich auch über Freiburgs Grenzen hinaus ausdehnte; vielmehr meldeten sich heftige Stimmen gegen eine »Expansion« außerhalb Freiburgs zu Wort, die befürchteten, GFPS würde dadurch seinen kameralen, überschaubaren Charakter, von Mensch zu Mensch, verlieren. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich des verstorbenen Herbert Rixgen gedenken, der eine solche Position leidenschaftlich verfocht.

Die Weiterverbreitung von GFPS war deshalb möglich, weil das, was in Freiburg gelungen war, je aufs Neue auch anderswo in derselben überschaubaren Weise verwirklicht werden konnte und verwirklicht wurde; weil es immer wieder Menschen gab, die sich von der Idee der GFPS auf letztlich nicht nachvollziehbre Weise wie von einem Virus anstecken ließen. Dieser Virus verbreitete sich von Süden nach Norden: Regensburg, Mainz, Heidelberg, München, Frankfurt (Main), Würzburg, Bonn, Köln, Aachen, Münster, Bremen, bis schließlich Hamburg »infiziert« war.

II.

Ich glaube, in dieser kleinen historischen Skizze ist schon deutlich geworden, welch einzigartige Stipendienorganisation wir sind. Worin besteht diese Einzigartigkeit der GFPS?

1) Stipendiengeber ist nicht eine mehr oder weniger anonyme Organisation, sondern eine Gruppe von Menschen ist gewissermaßen Gastgeber der Stipendiatin/des Stipendiaten aus Polen. Die Aktion »30x20« hat dies prototypisch gezeigt: es war klar, daß diese 30 Deutsche interessiert waren, den Menschen aus Polen, dessen Stipendium sie finanzierten, kennenzulernen, zu hören, woher er kommt, wofür er sich interessiert, was er macht, wie seine Eindrücke von Deutschland sind usw. Diese – aus der Not geborene – »Formel« einer Stipendienorganisation schafft von vorneherein eine Dialog-Situation, das Stipendium ist unauflöslich mit Begegnung, Gespräch, in die Menschen aus beiden Ländern involviert werden, verbunden. Das heißt aber auch, daß der »Stipendiengeber«, der hier als Person, als Gastgeber aufritt, nicht nur gibt, sondern zugleich auch etwas empfängt. Die Einladenden werden durch die Begegnung mit dem Eingeladenen beschenkt. Insofern war GFPS von allem Anfang an keine Einbahnstraße, kein einseitiger Akt der Hilfe, sondern ein Akt der Solidarität, aus dem Zweiseitigkeit, Gegenseitigkeit erwuchs. GFPS war also immer Geben und Nehmen. Für manche unserer Stipendiaten/innen war es nicht immer leicht, das Stipendium anzunehmen, besonders, wenn sie erfuhren, daß es von Menschen, denen sie gegenüberstanden, mitfinanziert wurde. Der Beschreibung dieser Spannung ist in der Dokumentation viel Raum gewidmet. Es war eine fruchtbare Spannung, die für nicht wenige Stipendiaten/innen zum Ansporn wurde, nach ihrer Rückkehr nach Polen selbst eine Initiative ins Leben zu rufen, wofür es zahlreiche Beispiele gibt: die Kulturgemeinschaft »Borussia« in Allenstein, die Edith Stein Gesellschaft in Breslau, die Gesellschaft »Convivium« in Krakau, das Lubliner polnisch-deutsche Forum und andere.

Durch die Verbindung von Stipendium und zwischenmenschlicher Begegnung ist mehr erreicht worden, als man es einer nackten Zahl von 388 Stipendien ansehen kann. Es ist ein dichtes Netz zwischenmenschlicher Kontakte entstanden, das mittlerweile ganz Deutschland und ganz Polen durchzieht, was auch heute spürbar wird. Besonders anschaulich hat Slawka Walczewska diesen Aspekt von GFPS einmal beschrieben: GFPS bedeutet für mich, daß ich mit meinem Schlafsack durch Deutschland reisen und in jeder größeren Stadt bei jemandem übernachten kann. Hätte uns 1984 jemand, sagen wir eine Million DM zur Verfügung gestellt, um Stipendien an polnische Studenten vergeben zu können, wären zwar auch 388 oder mehr Studenten aus Polen nach Deutschland gekommen, es wäre aber kein solches Netz an Kontakten, keine solch enge Gemeinschaft entstanden. Insofern war es ein Glücksfall, daß wir bei Null anfingen, daß wir auf uns selbst gestellt waren, daß wir improvisieren mußten. Manchmal kann Geld Engagement von unten auch ersticken, was ich später noch veranschaulichen will.

Es ist das Wort »Gemeinschaft« gefallen. Damit wollten wir damals die Andersartigkeit unseres Unternehmens zum Ausdruck bringen. Der Begriff »Gemeinschaft«, der immer wieder Anlaß zum Anstoß gab und bis heute gibt, ist Programm und Herausforderung zugleich. Gemeinschaft kann man nicht per Satzung schaffen, kann man nicht von oben herab verordnen. Gemeinschaft entsteht, ist ein Prozeß, muß wachsen. Gemeinschaft ist vielleicht auch zerbrechlicher als professionelle Strukturen, dies wußten wir immer, haben wir aber dennoch immer so gewollt.

2) Einzigartig ist auch, daß das Stipendium sich aus einem Mosaik verschiedener Beiträge zusammensetzt. Dies war in der Anfangszeit vielleicht noch stärker ausgeprägt als es heute ist, dennoch ist dies vom Ansatz her noch immer aktuell: der Beitrag zum Stipendium besteht nicht nur in Geld, sondern jemand stellt zum Beispiel ein Zimmer zur Verfügung (stellvertretend für alle will ich Familie Berndt in Bonn nennen, die seit Jahren jedes zweite Semester einen Studenten aus Polen bei sich aufnehmen), ein anderer ein Fahrrad, wieder andere, vielleicht die meisten von uns, »nur« ihre Zeit. Es gab auch solch originelle Beiträge – und es gibt sie sicherlich auch heute – daß z.B. eine GFPS-Sympathisantin im Schwarzwald einmal im Jahr eine Gruppe von GFPS-Leuten zu einer Wanderung mit anschließendem Schwarzwälder Kirschtorten-Essen einlud. Oder eine Dame in Köln, die jedes Semester eine Stipendiatin/einen Stipendiaten zu einem Wochenende nach Köln einlud – mit allem Drum und Dran, Theater oder Philharmonie miteingeschlossen. Es gab Menschen, die für GFPS-Stipendiaten Bücher billiger besorgten. Es gab Bäckermeister, die Brezeln und Kuchen für GFPS-Veranstaltungen stifteten. Es gab schließlich Musiker, wie die hochverehrte Frau Professor Edith Picht-Axenfeld oder Frau Prof. Elza Kolodin, die Benefizkonzerte für den Stipendienfonds der GFPS gaben.

Auch die Idee, daß Rotary- oder Lions-Clubs und auch die Wirtschaftsjunioren Patenschaften für GFPS-Stipendiaten übernommen haben, gehört in diesen Zusammenhang. Hier geschah übrigens dasselbe wie bei der Aktion »30x20«: die Spender wollten unbedingt die Stipendiatin oder den Stipendiaten kennenlernen und luden sie oder ihn zu einer Begegnung ein.

Wenn ich die Wirtschaftsjunioren erwähnt habe, muß ich hier innehalten und an Dieter Brockmann denken, der uns mit der ihm eigenen Leidenschaft unterstützt hat, wann auch immer wir Hilfe brauchten. Er war es nämlich, der die Wirtschaftsjunioren dazu animierte, mehrere Patenschaften für GFPS-Stipendiaten zu übernehmen. Von ihm stammt die einzige Schreibmaschine, die GFPS besitzt. Vor einigen Monaten ist er tragisch aus dem Leben geschieden. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren!

3) Drittens gehört zur Einzigartigkeit von GFPS der Grundsatz, daß alle Arbeit für den Verein ehrenamtlich ist. Ich glaube nicht, daß es eine andere Stipendienorganisation gibt, die 50 und mehr Stipendien im Jahr vergibt und keine bezahlten Mitarbeiter hat. Sollten wir darauf stolz sein, oder ist dies nicht ein überholter Grundsatz, der nicht mehr zu den veränderten Zeiten und der gewachsenen Stipendienzahl passt? Ich denke: nein. Ohne die ausschließlich ehrenamtliche Arbeit wäre die GFPS nicht das (geworden) was sie ist, hätte sie nicht geleistet, was sie geleistet hat. Sie war dank der Ehrenamtlichkeit nicht etwa zu weniger, sondern zu mehr fähig. Das ist meine feste Überzeugung, nicht zuletzt auch aufgrund anderthalbjähriger beruflicher Tätigkeit bei einer professionellen Stipendienorganisation. Der Grundsatz der Ehrenamtlichkeit hat ungeheure Kräfte freigesetzt, die in einer professionellen Organisation nicht zum Tragen gekommen wären. Dieser Grundsatz hat uns auch dazu gezwungen, immer wieder neu die Idee der GFPS weiterzugeben, von Studentengeneration zu Studentengeneration. Nie konnten wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen. Nichts konnte verkrusten, nichts konnte einrosten, wir mußten immer in Bewegung bleiben.

Das Prinzip der Ehrenamtlichkeit ist mit Risiko verbunden, dem Risiko von Pannen aufgrund »mangelnder Professionalität«, aber es lohnt sich, dieses Risiko einzugehen, der Gewinn ist unterm Strich allemal größer als manche negativen Aspekte.

Eines ist jedoch klar: der Grundsatz der Ehrenamtlichkeit zwingt uns dazu, eine primär studentische Organisation zu sein. Denn nur Studenten sind zeitlich so flexibel und nicht in feste berufliche Pflichten eingebunden, daß sie sich ein Engagement von dem Ausmaß, das die Arbeit für GFPS erfordert, leisten können. Mit dem Eintritt ins normale Berufsleben ist es in aller Regel mit dem aktiven Engagement für GFPS vorbei. Ich habe dies am eigenen Leib erfahren und deswegen den GFPS-Vorsitz vor fünf Jahren abgegeben. Andere haben ähnliche Erfahrungen gemacht.

Das heißt nicht, daß nicht auch Berufstätige, Nichtstudenten, also »ältere Menschen« GFPS unterstützen könnten, es gibt ja Gott sei Dank viele Beispiele dafür, daß dies geschieht. Aber diese Menschen können nicht der Träger, der Motor von GFPS sein, sie können nicht mit der Verantwortung für das aktuelle Geschehen belastet sein. Dies war in der Vergangenheit Studenten überlassen, und dies wird auch in Zukunft Studenten – bzw. Studierenden, wie man heute geschlechtsneutral sagt – überlassen sein müssen. (à propos »Studierende« – dies sei in Klammer gesagt – es gab zwei Änderungen des Vereinsnamens in unserer zehnjährigen Geschichte, einmal wurde »Studenten« in »Studierende« und ein anderes Mal – nach der Wiedervereinigung – »Bundesrepublik Deutschland« in »Deutschland« geändert.)

Ich kenne die Überlegungen, vom Prinzip der ausschließlich ehrenamtlichen Arbeit abzuweichen und bezahlte Arbeit bei GFPS einzuführen. Solche Diskussionen kamen in den letzten zehn Jahren immer wieder hoch und sind regelmäßig nach reiflicher Überlegung verworfen worden. Auch die diesjährige Mitgliederversammlung in Freiburg hat solchen Bestrebungen. sei es in Deutschland, sei es bei einem polnischen Partner der GFPS, eine klare Absage erteilt. Auch ich möchte an dieser Stelle ein Plädoyer für die Beibehaltung des Prinzips ausschließlicher Ehrenamtlichkeit abgeben.

Ich würde dieses Plädoyer selbst dann abgeben, wenn ich wüßte, daß damit auch eine Reduzierung der Stipendienzahl verbunden wäre. Unser Anspruch an uns selbst verbietet es nämlich nach dem Motto »soviel Stipendien wie möglich und um jeden Preis« vorzugehen. GFPS-Stipendien sind mehr als nur die Weitergabe eines Schecks. Dieses »Mehr« müssen wir retten, für dieses »Mehr« müssen wir uns einsetzen, sonst sind wir bald eine von vielen Stipendienorganisationen, ohne eigenes Profil und eigene Identität.

Unsere Identität ist, so meine tiefe Überzeugung, mit der ausschließlich ehrenamtlichen Arbeit verbunden. Daher war es unvermeidlich, daß wir uns von der als GFPS-Polska angetretenen Organisation trennen mußten. Sie ließ sich von der Aussicht auf enorme Gelder der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit blenden und führte mit deren Mitteln bezahlte Arbeit ein. Dies ist ein Thema, über das wir sicher heute nachmittag und morgen früh ausführlich diskutieren können. Umso wichtiger ist die für morgen geplante Gründung eines neuen polnischen Vereins, der der von mir beschriebenen GFPS-Philosophie treu bleiben will.

III.

Was hat uns damals zur Gründung der GFPS motiviert? Sicherlich hat jeder darauf seine persönliche Antwort. Mir scheint, das Leitmotiv war, daß wir auf die Ungerechtigkeit aufmerksam wurden, die darin bestand, daß uns der Weg zu einem Studienaufenthalt in nahezu jedem Land der Welt offenstand, diese Möglichkeit unseren polnischen Komilitoninnen und Komilitonen jedoch versperrt war. Sie war versperrt wegen des in Polen herrschenden Gesellschaftssystems und des damit verbundenen staatlichen Monopols auf Auslandsstipendien, zu denen ein normaler Sterblicher, und insbesondere ein normal sterblicher Student keinen Zugang hatte, schon gar nicht, wenn er unabhängig dachte. Die Möglichkeit eines Auslandsstudienaufenthaltes war auch versperrt aus materiellen Gründen, betrug doch ein Durchschnitts-Monatsgehalt in Polen in den achtziger Jahren zum Schwarzmarktkurs umgerechnet 30-50 DM. Mit anderen Worten: es war die Teilung Europas, aus der diese Ungerechtigkeit erwuchs. Überall wurde diese Teilung beklagt und man dachte, die Überwindung der Teilung hinge von den Politikern ab. Und da entdeckten wir plötzlich, daß es von uns abhängt, davon, ob wir ein Zimmer, ein Fahrrad finden, ob wir jemanden einladen, und daß wir damit ein klein wenig die Wirklichkeit verändern und sie nicht einfach nur so hinnehmen müssen. Diese Entdeckung faszinierte uns, es war etwas Prickelndes dabei, GFPS war auch ein großes Abenteuer. Unser Tun war – wie ich es etwas pathetisch auf der Gründungsfeier vor zehn Jahren formuliert habe – Manifestation des Willens zur Einheit Europas.

Gegenüber diesem Leitmotiv war die Tatsache, daß es hier um Deutsche und Polen ging, zweitrangig – so war es zumindest für mich. Aber natürlich hat die Erfahrung, daß bei unserer Initiative von unten auch enge persönliche Beziehungen, Freundschaften, ja sogar – woran Botschafter Bauch erinnert hat – Ehen entstanden sind, gezeigt, daß nichts im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen unmöglich ist, daß die Belastungen durch die Geschichte junge Menschen aus beiden Ländern nicht daran hindern, etwas gemeinsam miteinander zu unternehmen, miteinander zu sprechen, sich einander näherzukommen, schließlich: sich zu verstehen.

GFPS ist insofern sowohl ein kleiner Beitrag zur Überwindung der Teilung Europas gewesen – und ist es noch heute – als auch ein Stück guter deutsch-polnischer Erfahrung.

IV.

Vor fünf Jahren fiel die Mauer. Vor fünf Jahren, fast auf den Tag genau (am 24.8.1989), wurde Tadeusz Mazowiecki erster nichtkommunistischer Ministerpräsident Polens.

Ist die GFPS heute nicht überflüssig geworden? Trägt die Motivation aus den Gründertagen noch? Wäre der zehnte Jahrestag nicht eine gute Gelegenheit, unseren Verein aufzulösen, wie dies vor zwei Jahren die die in Paris ansässige »Fondation pour une entreaide intellectuelle Européenne« getan hat, die viele Jahre lang Intellektuelle aus dem damaligen Ostblock zu mehrmonatigen Aufenthalten im Westen verhalf? Ich glaube, es gibt viele Gründe, dies nicht zu tun:

Erstens: Nach wie vor ist das Stipendienangebot für Studierende äußerst gering. Der DAAD hat es bis heute – von wenigen Ausnahmen im Bereich Deutsche Minderheit und bei Germanisten abgesehen – nicht fertiggebracht, Stipendien für studierende Polen anzubieten, obgleich er dies seit Jahrzehnten erfolgreich mit Frankreich und anderen Ländern praktiziert. Die meisten Stipendiengeber fangen erst bei Doktoranden und aufwärts an. Ich denke, daß die zehn Jahre der Tätigkeit von GFPS gezeigt haben, wie sinnvoll und notwendig es ist, gerade Studierende zu fördern. Mit 23 geht man eben noch unbefangener auf ein neues Land zu, ist man neugieriger, offener, wißbegieriger, kontaktfreudiger, als später, wenn man alles durch die Brille seiner wissenschaftlichen Arbeit sieht. So sollte gerade bei Studierenden der eindeutige Schwerpunkt unseres Stipendienprogrammes liegen.

Natürlich ist hier auch der Zugang zum Stipendienprogramm entscheidend, die Transparenz bei der Auswahl. Noch immer werden in Polen Stipendien zuhauf in undurchsichtigen Verfahren an Eingeweihte, Bekannte »unterm Tisch« vergeben. Wir haben immer größten Wert darauf gelegt, daß unser Verfahren offen ist, durchschaubar ist, so gerecht wie möglich ist. Dies ist nicht leicht. Wir haben uns durch diese Transparenz teilweise Hunderte von Anträgen aufgebürdet, eine riesige Belastung für die Kommissionen, ohne deren Arbeit GFPS nicht existieren könnte. Stellvertretend für alle, die ehrenamtlich viele, viele Stunden der Arbeit in den GFPS-Auswahlkommissionen gewidmet haben, will ich Elzbieta Krukowska danken, die ununterbrochen seit zehn Jahren in der Lubliner Kommission mitwirkt bzw. diese seitt einigen Jahren leitet. Auch dieser offene Zugang zu unserem Stipendienprogramm ist eines der charakteristischen Merkmale von GFPS; es gehört mit zu unserem Ethos, an dem wir unbedingt festhalten sollten.

Zweitens: Die Folgen der Teilung Europas sind noch längst nicht überwunden. Wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses. Gerade jetzt in der Phase der Transformation ist es wichtig, den Austausch von Wissen, Know-How, Erfahrungen zu fördern. Polen ist hungrig nach diesen Erfahrungen, Lösungen in anderen Ländern, z.B. im Bereich des Rechts, der Wirtschaft, der Sozialpolitik. Heute gibt es weit größere Möglichkeiten, etwas im Ausland Gesehenes, Erlerntes im eigenen Land, in Polen, umzusetzen. Früher mußte das Meiste in der Schublade verschwinden. Unsere Stipendien sind somit jetzt auch eine Unterstützung des schwierigen Reformprozesses in Polen, hin zu eunem modernen Rechtsstaat und sozialer Marktwirtschaft.

Drittens: Der für mich wichtigste Grund dafür, daß GFPS noch einen Sinn hat, hängt jedoch mit der Einzigartigkeit dieser Organisation zusammen, die ich oben zu skizzieren versuchte: die Verbindung von Stipendium und Begegnung von unten.

Selbst wenn unsere Stipendienzahlen eines Tages wieder nach unten gingen, ja selbst dann, wenn wir nur, wie bei der Aktion »30x20« nur einen einzigen Studenten aus Polen einladen könnten, würde es sich lohnen dies zu tun. Nicht nur wegen dieses Studenten, sondern vor allem auch wegen uns selbst, die wir dadurch in einen lebendigen Kontakt mit unserem Nachbarland Polen kommen. Ich sehe nämlich die Gefahr, daß wir zwar alle großen Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis allmählich gelöst haben (Grenzfrage usw.) und wir auch friedlich nebeneinander herleben, aber eben nebeneinander und nicht miteinander. Was wir aber brauchen – langfristig auch für die Erhaltung des Friedens – ist eine lebendige Nachbarschaft von Polen und Deutschen. Die Tätigkeit von GFPS ist ein solches Beispiel einer lebendigen Nachbarschaft, ja vielleicht sogar Gemeinschaft, die von unten wächst, die immer wieder neu von unten wachsen muß, um lebendig zu sein.

Ich wünsche einer solchen GFPS Sto Lat!

Georg Ziegler