Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

GFPS e. V. > Verein > Aktuell > 24.08.2016

Buchrezension: „Mein Polen – meine Polen. Zugänge und Sichtweisen“

von Charlotte Ciesielski, Hannah Sprute, Katharina Lein, Simon Purk, Katharina Gorzynski und Benedikt Krüger

Anlässlich des 25. Jahrestages des Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrages versammelt die von Dieter Bingen, Marek Hałub und Matthias Weber herausgegebene Anthologie Mein Polen – Meine Polen. Zugänge und Sichtweisen 43 Beiträge von Personen aus Deutschland, die ihren privaten oder beruflichen Bezug zu Polen und seinen Einwohnern darstellen. So stellt der Band in zwei- bis 15-seitigen Beiträgen verschiedenste Assoziationen mit Polen nebeneinander – aus historischer, politischer, persönlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Perspektive. Persönlichkeiten wie Wolf Biermann, Horst Köhler, Gunter Pleuger, Gesine Schwan, Karl Kardinal Lehmann oder Rita Süssmuth (um nur einige zu nennen) widmen sich allem, was die Aufforderung „Beschreibe mir dein(e) Polen!“ wohl hergibt.

[Photo] Mein Polen - Meine Polen
Mein Polen - Meine Polen.

Doch woher kommt die Idee für eine solche Anthologie und vor allem – was ist ihr Ziel? Orientiert sich der Lesende an Titel und Vorwort, so wollen die Herausgeber einem von ihnen konstatierten Aufmerksamkeitsdefizit gegenüber Polen mit diesem Buch etwas entgegensetzen. „[D]urch subjektiv geprägtes, autobiografisches Erzählen deutscher Polenerfahrungen [wollen sie] die Aufmerksamkeit auf Polen und seine Menschen lenken.“ (Vorwort S. XII).

Da den Autor_innen keine inhaltlichen Vorgaben gemacht wurden, versammelt das Buch unterschiedlichste thematische Herangehensweisen. Die einzelnen Beiträge, die nicht thematisch, sondern anhand der Autor_innen-Namen alphabetisch geordnet sind, ergeben ein vielfältiges Werk, das von persönlichen Erfahrungsberichten und politischen Bekundungen über historische Abrisse und religiöse Bezüge bis hin zu literarischen Texten reicht. Der Grundtenor teilt sich dabei grob in zwei Perspektiven: entweder wird Polen als ein Land dargestellt, das auf die Schreibenden ursprünglich undurchsichtig, fremd und irgendwie fern wirkte und dann beim näheren Kennenlernen plötzlich interessant, besonders, einmalig und fantastisch wurde. Oder die Beiträge zeichnen ein Polen des Widerstandes, des Mutes und der Freiheitsliebe. Die erste Perspektive zeigt sich beispielsweise bei Horst Köhler, für den sich Polen durch seine beruflichen Tätigkeiten von einem „ferne[n], dunkle[n]“ (Köhler S.97) zu einem Land wandelte, das ihm „vertraut geworden“ ist (ebd. S.100). Etwas weniger explizit, aber ähnlich im Grundton beschreiben unter anderem Rüdiger von Fritsch, Helga Hirsch, Gunter Hofmann und Rita Süssmuth ihre Polenerfahrungen. Die zweite Perspektive findet sich vor allem in der immer wiederkehrenden Rückbesinnung auf die Solidarność einerseits und dem Brief der polnischen an die deutschen Bischöfe andererseits. Polen wird politisch als „freigeistig und widerständig“ (Schwan S.231) aber auch als vergebend und bescheiden beschrieben.

So gut gemeint der Ansatz ist, durch vielfältige Perspektiven die Auseinandersetzung mit Polen anzuregen - einige Probleme sind dem Buch mit seiner Konzeption in die Wiege gelegt. Schon in der Einleitung wird als Ziel des Buches das Verbindende zwischen Deutschland und Polen genannt, dann aber stark auf die Kategorien „eigen“ und „fremd“ rekurriert, um die Beiträge einzuordnen. Mein Polen – Meine Polen vereint dann auch im weiteren Verlauf diese seltsam gegensätzlichen Tendenzen: an mancher Stelle wirkt die Sammlung wie ein fast schon krampfhafter Versuch zu zeigen, dass Polen doch gar nicht so anders ist als Deutschland, an anderer Stelle wird dann aber konsequent darauf verwiesen, was an Polen so besonders und einmalig ist.

So geraten in Mein Polen – Meine Polen Stereotypisierungen leider nicht zu knapp, schaut man sich beispielsweise Günter Verheugens Beitrag an: „Großherzig sind sie [die Polen], offen und gastfreundlich, aber es bleibt immer ein Rest von Skepsis, vielleicht sogar Misstrauen erspürbar, als wäre das Bewusstsein, so oft allein und im Stich gelassen worden zu sein, als eine Art Hintergrundrauschen immer vorhanden.“ (S.272). Diese völlig generalisierende Rhetorik, die ein ganzes Volk zu verlassenen, durchschaubaren Kindern macht, schreit zum Himmel. Und auch wenn sich nicht alle Beiträge der Sammlung so offen stereotypisierender Aussagen bedienen, begeben sich doch nur wenige der 43 Texte auf die dem Buch fast fehlende Metaebene. Diese findet sich nur bei Hans Henning Hahn ganz explizit, der in seinem Beitrag auf exotisierende Aussagen verzichtet. Stattdessen macht er darauf aufmerksam, dass der immer wiederkehrende Versuch, in Polen etwas Exotisches, Einmaliges zu sehen, zu Stereotypisierungen führt und außerdem der gesamteuropäischen Geschichte nicht gerecht wird (S.52f.).

Sicherlich haben die Herausgeber durch das Zusammenbringen verschiedener persönlicher Sichtweisen den Versuch unternommen, Einseitigkeit zu verhindern. Das Ergebnis ist eine vielfältige Darstellung der jüngeren polnischen Geschichte anhand persönlicher Berichte. Und doch leidet das Buch an seiner Konzeption: Wie wäre nämlich ein Band gewesen, der nicht die deutsche Draufsicht auf Polen forciert, sondern unter Einschluss von Autor_innen beider Länder die deutsch-polnischen Beziehungen reflektiert hätte? Und welchen Charakter hätte die Sammlung angenommen, wenn zusätzlich nicht nur Politiker_innen, Wissenschaftler_innen oder Künstler_innen, sondern auch junge Menschen (Schüler_innen, Studierende, junge Arbeitende) zu Wort gekommen wären, die die Situation zwischen beiden Ländern aktuell erleben, ob nun durch Auslandserfahrungen, durch das Leben an der Grenze oder andere Zugänge?

Am Ende haben Lesende hier also eine Festschrift anlässlich eines Staatsvertrages vor sich, eine wohlwollende, aber stark aus deutscher Sicht geprägte Darstellung der jüngeren polnisch(-deutschen) Geschichte. Ob das Buch aber bei jungen Leuten ein Interesse an unserem Nachbarland oder den aktuellen Dynamiken zwischen Polen und Deutschland wecken kann und ob eine Beschreibung eines Landes aus Sicht eines anderen Landes notwendig und hilfreich ist, bleibt fragwürdig.

Mein Polen - Meine Polen. Zugänge und Sichtweisen.

Herausgeber: Dieter Bingen, Marek Hałub, Matthias Weber
Verlag: Harrassowitz
Erscheinungsjahr: 2016
Seiten: 358
Band: 34
Redaktion: Editorial
ISBN: 978-3-447-10593-4, E-Book: ISBN 978-3-447-19502-7
Preis: 29,00 EUR

Charlotte Ciesielski

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