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Nachruf auf Władysław Bartoszewski, Patron der GFPS

Prof. Władysław Bartoszewski ist am 24. April im Alter von 93 Jahren gestorben. Er war ein großer Freund und Unterstützer der GFPS seit ihrem Entstehen Anfang der 1980er Jahre.

Wie kam es dazu? Im Studienjahr 1981/82 belegte ich ein Hauptseminar bei ihm an der Katholischen Universität Lublin zum Thema „Der polnische Untergrundstaat während der deutschen Besatzung 1939–45”. Es war faszinierend, ihn als Dozenten zu erleben: alles war oral history – für alles, was er sagte, hatte er Beispiele aus seinem eigenen Erleben aus der Untergrundarbeit, sei es seine Hilfe für die Juden im Ghetto1, seine Tätigkeit als Redakteur einer Untergrundzeitschrift, seine Teilnahme am Warschauer Aufstand 19442, oder seine 199-tägige Haft in Auschwitz (Sept. 1940 bis April 1941)3, das damals noch ein KZ für polnische politische Häftlinge und kein Vernichtungslager war. Wir brauchten kein Lehrbuch. Das Lehrbuch war er selbst. Das Wintersemester dauerte allerdings nur drei Monate, da jäh am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht über Polen verhängt wurde und neben vielen anderen Oppositionellen auch Bartoszewski von den kommunistischen Machthabern verhaftet und interniert wurde. Und zu meinem Erstaunen sah ich, wie einiges von dem, was wir gerade im Seminar über die polnische Untergrundpresse zur Zeit der deutschen Besatzung gehört hatten, während des Kriegsrechtes Realität wurde. Flugblätter wurden im Untergrund gedruckt und kolportiert, Druckmaschinen geschmuggelt, Konspiration war angesagt, ein großer Widerstandsgeist flammte auf, vermischt mit der Angst von der Staatssicherheit erwischt und verhaftet zu werden. Bartoszewski wurde unter anderem aufgrund einer öffentlichen Kampagne der deutschen Sektion von Pax Christi und ihres Generalsekretärs Reinhold Lehmann nach fünf Monate im Mai 1982 wieder aus der Haft entlassen. Wenn ich mich recht erinnere konnten wir daher zumindest noch einige Sitzungen des Seminars im Sommersemester 1982 abhalten.

Als ich dann ab 1983 mit Freiburger Kommilitonen die Gründung der GFPS vorbereitete und wir einen „Unterstützerkreis” ins Leben rufen wollten, war klar, dass wir Herrn Bartoszewski dafür gewinnen wollten. Er war sofort bereit dazu, seinen Namen für unsere Initiative „herzugeben” und mehr noch: er war bereit, sich in jeder nur erdenklichen Art für die GFPS einzusetzen, deren Idee und Tätigkeit er sehr hochschätzte und immer in den höchsten Tönen pries. Da er dann zwischen 1983 und 1990 auf Initiative des früheren bayerischen Kultusministers Prof. Hans Maier einige Jahre als Gastprofessor in Eichstätt, Augsburg und München Zeitgeschichte lehren konnte, stand er uns dann wiederholt bei Veranstaltungen in Deutschland zur Verfügung, auch in Stadtgruppen (z. B. in Mainz und München). Sein Freund Reinhold Lehmann war in der Zwischenzeit zum Herder Verlag nach Freiburg gewechselt und hatte die Idee, die mündlichen Erzählungen von Bartoszewski in ein Buch zu übertragen. Mehrere Tage schlossen sich die beiden an einem ruhigen Ort ein und Bartoszewski berichtete über sein Leben. Ein Tonband lief mit. Auf diesem Tonband basierte das Buch Herbst der Hoffnungen, mit dem Untertitel Es lohnt sich anständig zu sein (Erstauflage 1983), das neun Auflagen erlebte wie auch ein 1986 erschienener Folgeband Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Die Erfahrung meines Lebens. Lehmann schlug Bartoszewski erfolgreich für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels vor, den er 1986 zum Ende der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche entgegennahm. Prof. Hans Maier, Gastgeber mehrerer GFPS-Stipendiaten, hielt die Laudatio. Eine Delegation der GFPS durfte damals dabei sein, die auch Dr. Wojciech Chudy, den (2007 verstorbenen) damaligen Vorsitzenden der Auswahlkommission der GFPS in Lublin, umfasste. Nach der Preisverleihung trafen wir uns dann bei anderen GFPS-Freunden in Frankfurt a. M., nämlich bei Roza Thun (heute Mitglied des Europäischen Parlaments) und ihrem Mann Franz Thun in deren Wohnung unweit der Neuen Alten Oper. Noch viele Jahre benutzten wir Texte aus Bartoszewskis Preisträger-Rede als Werbung für GFPS.

Als 1994 die GFPS-Polska entstand, war Bartoszewski wieder bereit, als Unterstützer aufzutreten; er wurde sogar deren offizieller Schirmherr, wie es Frau Prof. Gesine Schwan für die deutsche GFPS ist. 1995 wurde er erstmals Polens Außenminister und hielt als solcher eine denkwürdige Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Gedenken an den 8. Mai 1945, in der er mehrfach an Gedanken Jan Jozef Lipskis zum polnisch-deutschen Verhältnis anknüpfte. Sein Kabinettschef wurde ein GFPSler, Jurek Marganski, ehemaliger GFPS-Stipendiat in Freiburg und heutiger Botschafter Polens in Deutschland. 2000–2001 wurde Bartoszewski erneut Außenminister und diente danach mehreren polnischen Regierungen bis zu seinem Tod als außenpolitischer Berater im Rang eines Staatssekretärs. Am 25. Jubiläum der GFPS in Görlitz (2009) nahm Bartoszewski teil und hielt eine liebenswürdige Rede, ebenso an der Veranstaltung zum 30. Jubiläum im Mai letzten Jahres in Warschau. Er war immer ansprechbar, wenn die GFPS ein Anliegen an ihn hatte. In dem 2005 erschienenen Memoirenband Und reiß uns den Hass aus der Seele4 verwies er auf die „zwanzigjährige fruchtbare Tätigkeit” der „berühmten deutsch-polnischen Organisation GFPS”. GFPSler wie Maria Luft in Bremen, Elisabeth Weber in Köln und ich organisierten eine zehn Städte umfassende Lesereise durch Deutschland.

Mit seinem Tode verliert die GFPS-Familie einen Freund, der ihr über 30 Jahre hinweg die Treue hielt und sie durch seine Persönlichkeit und Autorität stärkte. Władysław Bartoszewski war ein Zeitzeuge der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, dem nichts wichtiger war, als die Lehren daraus an die junge Generation weiter zu geben, um ihr zu ersparen, was er erfahren musste.5 Er hinterlässt der Nachwelt ein umfangreiches Werk, das zumindest in Bibliotheken auf polnisch, deutsch und englisch verfügbar sein dürfte. Professor Bartoszewski war nicht nur einer der wichtigsten Wegbereiter und Akteure der polnisch-deutschen Aussöhnung in den siebzig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch ein tatkräftiger Unterstützer des europäischen Einigungswerkes. Dass er daran mitwirken und dann erleben konnte, dass Polen und Deutschland beide Mitgliedstaaten der Europäischen Union (und der NATO) sind, stimmte ihn glücklich und für die Zukunft zwischen Polen und Deutschen optimistisch. Es ist nicht jedem vergönnt, die Früchte seines Wirkens zu Lebzeiten so deutlich zu sehen, wie das bei Bartoszewski der Fall war. Insofern hatte er ein sehr erfülltes Leben. Wir in der GFPS sind ihm dankbar und werden ihn nicht vergessen. Er wird uns auch nach seinem Tod in vieler Hinsicht Vorbild sein. Wenn alles mit rechten Dingen zu geht, ist aus dem irdischen Fürsprecher der GFPS nun ein himmlischer Fürsprecher geworden. Wir sind uns dessen gewiß, Panie Władyslawie!

Seiner Familie, vor allem seiner Frau Zofia, gilt unsere herzliche Anteilnahme.

Georg Ziegler (GFPS Vorsitzender 1984-1989)


  1. W.B. veröffentlichte zu diesem Thema mehrere Bücher, z. B. Uns ein vergossenes Blut. Polen und Juden in der Zeit der Endlösung, Frankfurt 1990, sowie Das Warschauer Ghetto – wie es wirklich war – Zeugenbericht eines Christen, Frankfurt 1983 ↩︎

  2. siehe z.B. sein Buch Dni walczączej stolicy, Warszawa 2011 ↩︎

  3. Siehe sein letztes auf Deutsch erschienenes Buch Mein Auschwitz. Paderborn 2015 ↩︎

  4. Der volle Titel lautet Und reiß uns den Hass aus der Seele. Die schwierige Aussöhnung von Polen und Deutschen, Warschau 2005 ↩︎

  5. Aus der Geschichte lernen? war auch der Titel eines Buches von Bartoszewski, das 1986 bei DTV erschien. ↩︎

Georg Ziegler