Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Stipendiatenseminar Bautzen/Budyšin, 28.06.2012 – 01.07.2012

Bautzen- die ersten beiden Assoziationen, die diese Stadt auslöst, sind vermutlich Senf und Stasi-Knast. Wir von GFPS- Vorstände, Mitglieder, Stipendiaten- lernten an diesem sonnigen Wochenende allerdings nicht nur die scharfen und bitteren Seiten dieser Stadt kennen, sondern auch vor allem ihre Süße präsentierte sich uns in Form von kultureller Vielfalt, Idylle und Naturschönheit.

  • Am See

    Am See

  • Auf dem Weg zum See

    Auf dem Weg zum See

  • Auf dem Weg zum See

    Auf dem Weg zum See

  • Bautzen

    Bautzen

  • Da hinten wird evaluiert

    Da hinten wird evaluiert

  • Grillmeister

    Grillmeister

  • Ist nun Grill der Stadtgruppe Leipzig :)

    Ist nun Grill der Stadtgruppe Leipzig :)

  • Kaninchen?

    Kaninchen?

  • Kein Grillmeister

    Kein Grillmeister

  • Kreckwitzer Straße – Krakečanska dróha

    Kreckwitzer Straße – Krakečanska dróha

  • Shooting Am Strand I

    Shooting Am Strand I

  • Shooting am Strand II

    Shooting am Strand II

  • Shooting am Strand III

    Shooting am Strand III

  • Shooting in der Wiese I

    Shooting in der Wiese I

  • Shooting in der Wiese II

    Shooting in der Wiese II

  • Shooting in der Wiese III

    Shooting in der Wiese III

  • So schaut er gern auf Bildern

    So schaut er gern auf Bildern

  • Strandkolonie

    Strandkolonie

  • Wer spielt hier überhaupt?

    Wer spielt hier überhaupt?

  • Bautzen

    Bautzen 28.06.2012

 

Schon am Bahnhof wurden wir von den bei GFPS-Veranstaltungen omnipräsenten Plakaten begrüßt und durch den historischen Stadtkern in die Jugendherberge in einem alten Wehrturm gelotst. Beim Schlendern durch die malerische Altstadt wurden wir von einem Stadtführer begleitet, der uns Historisches, aber auch Sagenhaftes näher brachte. So gibt es nicht nur in Pisa einen schiefen Turm, sondern auch in Bautzen. Eine weitere Besonderheit der Stadt ist der Petridom. Diese Simultankirche wird sowohl von Katholiken als auch von Protestanten genutzt. Besonders beeindruckend sind die schmalen Kopfsteinpflastergässchen, welche von liebevoll restaurierten vor allem barocken (Bürger)häusern flankiert werden.

Bautzen überrascht. Dies war ebenfalls der Tenor unserer Privatvorführung im deutsch-sorbischen Volkstheater, welches auch als Puppenspielbühne von sich reden macht. In etwas überspitzter Form beschwor ein neckender Puppen-Dialog zwischen einem sorbischen Wassermann und einer deutschen Stadtschönheit den genius loci der Stadt herauf.

Bautzen ist das politische und kulturelle Zentrum der Sorben in der Oberlausitz. Deshalb war eine intensive Beschäftigung mit der westslawischen Minderheit in Deutschland naheliegend und sehr fruchtbar. Neben einem Besuch des sorbischen Museums, welches sich vor allem der Geschichte und Volkskultur der Sorben widmet, stand ein Gespräch mit einem Vertreter der Domowina, dem Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen, auf dem Plan.

Ein wichtiger Bestandteil der sorbischen Identität ist die sorbische Sprache. In vergleichender Perspektive mit den Sprachen Tschechisch und Polnisch, die uns GFPSlern besonders nah sind, haben wir uns dieser weiteren westslawischen Sprache während eines „Sorbisch-Crashkurses” genähert. Eine wichtige Erkenntnis war dabei, dass es „das Sorbische” gar nicht gibt, sondern man vielmehr zwei Schriftsprachen- neben zahlreichen Dialekten- unterscheidet: Das Obersorbische ist dabei dem Tschechischen näher und das Niedersorbische ist der polnischen Sprache ähnlicher. Auch einen lebhaften Einblick in sorbische Volkslieder bekamen wir beim gemeinsamen Singen. Das Lied „Daj mi jadno jajko” klingt noch bis heute fröhlich nach. Der Kurs wurde so gut angenommen, dass einige Teilnehmer die Idee hatten, im Rahmen eines GFPS-Projekts einen längeren Sorbisch-Sprachkurs zu organisieren. Mit unserem Interesse an dieser Sprache und Kultur sind wir westslawisch-Affinen allerdings Exoten. Schätzungen zufolge hat das Niedersorbische nur noch 7000 aktive Sprecher, damit ist die Sprache vom Aussterben bedroht. Die Situation des Obersorbischen ist mit ca. 13000 aktiven Sprechern besser, aber keinesfalls unproblematisch.

Eine wichtige Initiative zur Förderung des Sorbischen ist deshalb das WITAJ-Projekt (http://www.witaj-sprachzentrum.de/). Die WITAJ-Kitas, in denen die Erzieher/innen mit den Kindern nur Sorbisch auf muttersprachlichem oder annähernd muttersprachlichem Niveau sprechen, sind offen für alle Kinder, auch für Deutschmuttersprachler ohne sorbischen Hintergrund. Diese Kinder bilden sogar die Mehrheit in den Kindergärten. Die dadurch initiierte Verständigung geht weit über ein rein sprachliches Niveau hinaus.

Dies ist auch unbedingt notwendig. Obwohl die Ober- und Niederlausitz, Heimat der Sorben, binationale Regionen sind, ist der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit der Minderheit oftmals durch Unwissen geprägt, obwohl die sorbische Gemeinschaft in Bautzen sehr aktiv ist. Die zahlreichen Kulturinstitutionen und Vereine, wie zum Beispiel das Deutsch-Sorbische Volkstheater, das Sorbische Museum, das Haus der Sorben, die Domowina, der sorbische Schulverein, und der sorbische Künstlerbund zeugen von einem regen Engagement. Damit bieten die Sorben zahlreiche Plattformen, wo Austausch und gegenseitiges Kennenlernen möglich wären. Ein entspanntes und tolerantes Miteinander im Bewusstsein um die Identität der Sorben scheint allerdings weniger zu existieren als es wünschenswert wäre. Überraschend beziehungsweise bedenklich war es zu erfahren, dass die deutschsprachigen Bewohner Bautzens und der Region wenig Interesse an der Kultur und Situation der Minderheit haben. Vielmehr scheinen sich einige sogar durch die für sie unverständliche Sprache im Alltag gestört zu fühlen und reagieren zum Teil aggressiv. Selbst Menschen, bei denen man eine gewisse Sensibilisierung für die Thematik voraussetzt, zum Beispiel deutschsprachige Mitglieder des Ensembles des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters, sehen oftmals keine Notwendigkeit sich mit der Sprache der Sorben intensiver zu beschäftigen.

Das daraus resultierende Nicht-Verstehen schafft Ängste, welche allzu oft in Diskriminierungen im Alltag ihren Ausdruck finden. Diese Diskriminierung kann dabei so weit gehen, dass die sorbische Identität zugunsten der deutschen unterdrückt wird- quasi als Selbstaufgabe der eigenen Identität.

Allerdings gibt es auch viele junge Menschen, die sich für das Bewahren der sorbischen Traditionen, aber auch für eine lebendige zeitgenössische Kultur einsetzten. Vor allem im Musikbereich sind viele junge sorbische Künstler aktiv. Ein weiterer Programmpunkt war der Besuch der Gedenkstätte Bautzen. Das „Stasi-Gefängnis” Bautzen II ist Symbol für politische Verfolgungen und Unrecht in der DDR. Heute klärt die Gedenkstätte auf über perfide Methoden der Stasi und erinnert an die Leiden der Häftlinge. Bei den Arrestzellen und im Isolationstrakt hörten wir unfassbare Geschichten der politisch Inhaftierten.

Neben der intensiven Auseinandersetzung mit der Stadt, ihrer Kulturgeschichte, die stark mit der Minderheit der Sorben verbunden ist, waren die Stipendiatenreferate ein weiterer zentraler Programmpunkt. Diese wurden in der Sprache des jeweiligen Gastlandes des Stipendiaten gehalten und waren unglaublich vielfältig, weil sie die Studieninteressen der Stipendiaten widerspiegelten. So gab es zum Beispiel eine Analyse des Scheiterns der Kunstmesse Art Forum in Berlin. Aber auch das Referat über das Praktikum bei der Firma Fermat Group, Hersteller von Werkzeugmaschinen wurde interessiert angenommen. Während die meisten Referate eher sozial- kultur- oder geisteswissenschaftlichen Hintergrund hatten, so war auch ein geologisch orientierter Vortrag über die Morphologie der Ozeankruste eine gelungene Abwechslung.

Der interdisziplinäre Charakter der Referate wurde von allen Teilnehmers als positiv gewertet. Ein Kritikpunkt war allerdings, dass auf Grund des dichten Programms manchmal wenig Zeit zur Diskussion im Plenum blieb und ein Feedback für die Referate völlig fehlte. Dies hätten sich allerdings viele Referenten, die sich sehr intensiv mit ihrem Thema beschäftigt haben, gewünscht.

Neben der Kultur kam auch die Natur nicht zu kurz. Abends haben wir mehrmals im Stadtpark gepicknickt. Bei der lockeren Atmosphäre auf der Wiese war es noch einfacher mit verschiedenen Leuten ins Gespräch zu kommen oder sich einer kleinen Volleyball-Session zu widmen. So konnte sich sehr schnell eine gute und entspannte Gruppendynamik entwickelte. Der mit einer Wanderung verbundene Abstecher in das Bautzener Umland zu einem Stausee war daher eine gelungene Idee für den Abschlussabend.

Ein kleiner Kritikpunkt ist die Dominanz des Deutsch-Polnischen während dieser GFPS-Veranstaltung im Speziellen, aber auch bei GFPS-Veranstaltungen im Allgemeinen. Vielleicht wären Energizer in Form von Sprachanimationen, die auch das Tschechische in das Bewusstsein der Gruppe ruft, eine Möglichkeit um diesem Problem Abhilfe zu schaffen.

Alles in Allem lässt sich allerdings sagen, dass die Teilnehmer ein entspanntes, stressfreies, aber ebenso erkenntnisreiches Wochenende hatten. Dies ist vor allem der hervorragenden Planung der Organisatoren zuzuschreiben, die den Spagat zwischen Lehrreichem und Spaß wunderbar meisterten.

Lisa S.