Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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„Polen desorientiert ?!“ –
Warum interessieren sich Deutsche für Polen?

Vom 31. März – 3. April 2011 fand in Warschau die Konferenz „Polenorientiert- Dlaczego Polska jest krajem interesującym dla Niemców?“ statt. Etwa 50 junge Deutsche und Polen diskutierten dabei über die polnisch-deutschen Beziehungen.

Ins Leben gerufen wurde die Konferenz von Dorota Niewęgłowska, derzeitige 2. Vorsitzende der GFPS Polska. Die Soziologiestudentin beschäftigte sich mit dem Thema bereits während ihres Auslandsaufenthaltes in Bremen, den sie im Rahmen ihres GFPS-Stipendiums absolvierte. Sie begann vor einem Jahr mit Hilfe der Warschauer Stadtgruppe und der GFPS-Polska die Organisation der Konferenz.

Heraus kamen vier interessante, anregende und unterhaltsame Tage. Hauptbestandteil der Konferenz stellten Vorträge aus den Bereichen Sozial-, Politik-, Geschichts-, Musik- und Literaturwissenschaften dar. Gehalten wurden die Präsentationen von Studenten, Absolventen und Doktoranden.

[Photo] Podiumsdiskussion
Podiumsdiskussion. Die Diskutanten: Adam Krzemiński, Gerhard Gnauck, Randolf Oberschmidt und Paweł Moras. © Rafał Bil

Die Asymmetrie der polnisch-deutschen Beziehungen spiegelte sich in den meisten Themen wieder. Eröffnet wurde die Konferenz mit einer Diskussion über diese Asymmetrie von Dr. Randolf Oberschmidt (Direktor des DAADs), Dr. Gerhard Gnauck (Korrespondent von „Die Welt”), Paweł Moras (Direktor des deutsch-polnischen Jugendwerks) und Adam Krzemiński (Redakteur der „Polityka”). Das Ungleichgewicht bestehe vor allem im Bereich der Sprache; in Polen lernten weitaus mehr Menschen Deutsch als Deutsche Polnisch. Jedoch stelle Polen für viele deutsche Studenten einen attraktiven Nischenbereich dar, beispielsweise im Bezug auf das polnische Recht. Mit dem Beitritt Polens zur EU verstärke sich aber der Austausch zwischen den beiden Ländern. Allerdings suchten tatsächlich dreimal mehr polnische Schulen eine deutsche Partnerschule als dies in Deutschland der Fall sei. In Deutschland sei man noch immer mehr in Richtung Frankreich orientiert.

Was kann also getan werden, um dieses Ungleichgewicht zu relativieren? Vorgeschlagen wurde zum Beispiel das Konzept der Euroregionen, von denen heute schon vier an der deutsch-polnischen Grenze existieren. Ziel der regionalen Zusammenarbeit sei eine gesellschaftlich-ökonomische Entwicklung, ein verstärktes Knüpfen von Kontakten zwischen den lokalen Gemeinschaften, sowie der Ausbau der wissenschaftlichen Kooperationen. Der Trans-Regionalismus soll zu einer Identifikation über die Grenzen hinaus und letztendlich zu einer Europäischen Identität jenseits des Nationalstaates führen. Interessant für die zukünftige Entwicklung der Grenzregionen sei dabei das Phänomen, dass die polnischen Grenzregionen wirtschaftlich stärker entwickelt seien als die deutschen. Dies würde zu Investitionen polnischer Firmen in die deutschen Grenzregionen führen.

Um eine Annäherung zu fördern und Vorurteile über das jeweils andere Land abzubauen, sind Journalisten von entscheidender Bedeutung. Vorurteile würden häufig dadurch geschürt, dass Journalisten in ihren Artikeln von den Deutschen oder den typischen Polen sprächen.

[Photo] Teilnehmer
Teilnehmer. © Rafał Bil

In einem weiteren Vortrag wurde das Buch „Katzenberge” von Sabine Janesch durch eine polnischen Germanistin vorgestellt. Eine Tochter deutsch-polnischer Eltern begibt sich nach Polen auf die Suche nach ihrer Identität und muss sich dort dem Problem der Vertreibung sowohl aus Polen als auch aus der heutigen Ukraine stellen. Das Buch präsentiert ein immer wiederkehrendes Thema, mit dem sich Deutsche mit polnischen Wurzeln konfrontiert sehen.

Die Asymmetrie der polnisch-deutschen Beziehungen wird auch in der Musik deutlich. Zwar seien einige deutsche Musiker im 19. Jahrhundert nach Polen gezogen, weil sie sich größeren Erfolg versprachen, eine höhere Ausbildung der Musiker hätte jedoch in Deutschland stattgefunden. Früher wie heute fehle es an einer gut funktionierenden Infrastruktur zum Austausch polnischer und deutscher Musik.

Neben den Präsentationen gab es auch ein reichhaltiges Kulturprogramm.

  • Drei Dokumentarfilme, „Szczeczin”, „Edyta. Was ist Europa?” und „Dwuglowy smok” wurden unter Anwesenheit der Regisseure gezeigt.
  • Die großen polnischen Städte Stettin und Krakau und die Region Oberschlesien stellten sich aus Sicht der Bewohner, der Perspektive einer „europäischen” Studentin und hinsichtlich der Architektur im Ballungsraum auf spannende Art und Weise dar.
  • Abends stand ein eigens für die Teilnehmer aufgeführtes Tanztheater „Fuera del Campo” auf dem Programm. Im anschließenden Gespräch mit den Tänzern und dem Regisseur erfuhren wir, dass es in Warschau im Gegensatz zu Berlin nur sehr wenige Möglichkeiten gibt, ein solches Tanztheater aufzuführen.
  • Ein Stadtspaziergang unter anderem über das Dach der neuen Bibliothek der Warschauer Universität und der Besuch des Chopin-Museums rundeten das Programm ab.
  • Neben dem Ausflug in die musikalische Vergangenheit Polens konnten wir am letzten Abend aktuellen Progressive Rock der Band „State Urge” in einem Jazzclub hören.

Sind die Deutschen nun wirklich Polen-desorientiert und wird die Breitenwirkung ausbleiben? Diese Fragen rückten zumindest beim Miteinander der Polen und Deutschen während der Konferenz in den Hintergrund.

Christoph Malte Maisch, Oliver Lammers und Sandra Haufe