Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Und plötzlich war der Laptop weg

Eindrücke vom deutsch-polnischen GFPS-Sprachkurs 2008 in Sachsen und Kleinpolen

Was für eine Idylle: Hühner auf dem Hof, der Blick auf seichte Hügel und ein See gegenüber, umringt von alten Eichen. Die Zeit verläuft hier noch ganz langsam: statt Obstbäume und Gemüsefelder zu spritzen, um damit Vögel zu vertreiben, werden Amseln und Spatzen noch mit Vogelscheuchen ausgetrickst. Die Ruhe im Dorf kann nicht mal der Zehnjährige stören, der tagein, tagaus mit seinem Quad zum Spielplatz brettert und dabei mächtig angibt.

  • …und wie man einen Papp-Mercedes steuert.

    …und wie man einen Papp-Mercedes steuert.

  • Abschiedskonzert der polnischen Teilnehmer

    Abschiedskonzert der polnischen Teilnehmer

  • Auf nächtlicher Durchreise in Breslau

    Auf nächtlicher Durchreise in Breslau

  • Beim „Tandemieren“

    Beim „Tandemieren“

  • Dazu gehört zu wissen, was FKK heißt.

    Dazu gehört zu wissen, was FKK heißt.

  • Der deutsche Einbürgerungstest in Oberau

    Der deutsche Einbürgerungstest in Oberau

  • Der Herr… äh…, Hahn des Hauses.

    Der Herr… äh…, Hahn des Hauses.

  • Der See hinter der dem Feriendomizil

    Der See hinter der dem Feriendomizil

  • Doch auch Regen kann Spaß machen.

    Doch auch Regen kann Spaß machen.

  • Stadtführung durchs nasskalte Krakau

    Stadtführung durchs nasskalte Krakau

  • Und zum Einbürgerungstest gehört auch der deutsche Eintopf

    Und zum Einbürgerungstest gehört auch der deutsche Eintopf

  • Wir basteln das Spiel „Tandemopoly“

    Wir basteln das Spiel „Tandemopoly“

  • Wo ist Mateuszs Laptop?

    Wo ist Mateuszs Laptop?

 

Der beschauliche Ort Domaniewice zwischen Kattowitz und Krakau bildete den Ausgangspunkt für vier Wochen gemeinsames Lernen: 17 Polen und 17 Deutsche jeweils die Sprache des Anderen – morgens im Unterricht und nachmittags im Sprachtandem. Und damit nicht nur die deutschen Teilnehmer ihr Nachbarland Polen kennen lernen konnten, sondern auch die Polen Deutschland, wurde der Standort zur Halbzeit nach Sachsen verlegt. Ans ebenso idyllische Schloss Oberau bei Meißen, dessen friedliche Atmosphäre schon Romantiker wie Annette von Droste-Hülshoff zu schätzen wussten. Gut 200 Jahre vor uns hatte sie sich im Schloss zu literarischen Zirkeln mit Dichterkollegen getroffen und ebenso wie wir den Ausblick auf die weiten Felder genossen.

Eine ruhige Umgebung ist entscheidend für den Erfolg eines Sprachurlaubs. Erst sie ermöglicht konzentriertes Arbeiten und aufmerksames Zuhören. Von Anfang an wirkte sich das positiv auf die Atmosphäre des Kurses aus. Schließlich waren wir nicht zum Faulenzen angetreten. Was die zwei Deutsch- und die zwei Polnischlehrerinnen und -lehrer morgens im Unterricht vermittelt haben, sollte nachmittags in bilingualen Zweierteams selbständig vertieft werden. Die vorgegebenen Themen waren vielfältig. Mal ging es um Hobbys und Zukunftspläne, mal um Politik, Träume oder neue Medien. Ziel war es, die neu gelernten Vokabeln so schnell wie möglich anzuwenden und einem praktischen Alltagstest zu unterziehen. Auch über „Tabus – Alles, was man sonst nicht besprechen darf” sollten wir uns an einem Nachmittag je eine dreiviertel Stunde auf Polnisch und Deutsch unterhalten. Dabei war wohl das Reden in der fremden Sprache das geringere Problem. Vielmehr fiel es schwer, in ein Thema hineinzufinden, das sonst zu Stillschweigen verpflichtet.

Dieser Zwang zum Reden schien anfangs eine Hürde zu sein, nach und nach jedoch wurde er zum Motor des Zusammenwachsens. Er hat verhindert, dass sich einzelne Gruppen derjenigen Teilnehmer bilden, die sich ohnehin schon - im Wortsinn - besser verstehen. Mehr und mehr wurden Gespräche zwischen den Sprachgruppen auch abseits des täglichen Tandems zur Selbstverständlichkeit, auch wenn dabei immer mal wieder Fehler gemacht wurden. Wie zum Beispiel am Mittagstisch, der selten ausschließlich einsprachig besetzt war. Sprachschwierigkeiten haben hier sogar dazu geführt, dass man sich gemeinsam entkrampfte und die Hemmung ablegte, einfach drauflos zu reden: „Was heißt jetzt noch mal pfeffern auf Polnisch, …pierprzyc?” Lautes Lachen der Polen und danach die Erklärung: Neben dem Verfeinern von Gerichten hat das Wort pfeffern in Polen noch eine zweite, etwas pikantere Bedeutungsebene…

Weil unsere fünf GFPS-Organisatoren im Vorjahr selbst als Teilnehmer dabei waren, wussten sie wie anstrengend Sprachenlernen sein kann. Pünktlich zu jeder Unterrichtspause haben sie frischen Kaffee gekocht und uns so mit Koffein gegen die Müdigkeit gedopt. Außerdem haben sie zwischendurch für viele Lockerungsübungen gesorgt und uns regelmäßig unterhaltsame Abendprogramme geboten. Hervorzuheben sind dabei vor allem die kulturellen Aktionstage. Am Kunst-Tag malten, klebten und filmten wir in gemischten Gruppen kreative Werke und stellten sie im Anschluss daran bei einer Vernissage vor. Für einen Theaterabend lernten wir tagelang Dialoge auswendig, um am Ende unterhaltsame Stücke in der jeweils anderen Sprache aufzuführen. Das war gute Unterhaltung mit Lerneffekt.

Besonders gelungen war das Programm aber, wenn wir selbst es bestimmten. Einen polnischen und einen deutschen Tag bereiteten wir Teilnehmer allein vor. In beiden Fällen präsentierte jeweils die eine Sprachgruppe der anderen mit viel Selbstironie ihre eigenen landestypischen Bräuche und Traditionen. Um die eigene Kultur möglichst anschaulich darzustellen, wurden alle Register gezogen. Die Polen haben sich aufwendig verkleidet und uns mit schauspielerischen Einlagen in dialektgefärbtem Polnisch bei Laune gehalten. Wie in einer Spielshow mussten wir Deutschen in vier Gruppen gegeneinander antreten und osteuropäische Probleme bewältigen: um die Wette Wodka trinken, Kartoffeln schälen und eine Mini-Matura in polnischer Landeskunde schreiben.

Der Deutsche Tag stand dagegen ganz im Zeichen der deutschen Beamtenbürokratie. Die polnischen Kursteilnehmer waren Teil eines von uns erfundenen Pilotprojektes der sächsischen Landesregierung, das sie fit machen sollte für den deutschen Einbürgerungstest. Dafür mussten sie üben, wie man in Deutschland Müll trennt, Weißbier einschenkt und korrekt Auto fährt. Die letzte Prüfung wurde bei einem Seifenkistenrennen im Papp-Mercedes abgenommen, das nicht alle heil überstanden.

Eine gelungene Abwechslung waren die Fahrten in die Umgebung. Von Domaniewice aus besichtigten wir die Stadt Krakau und wenig später die Ciemna Höhlen bei Ojców in Małopolska sowie die ganz in der Nähe gelegene Pustyna Błędowska, die größte Sandwüste Polens. Es muss dort einmal wie in Ägypten ausgesehen haben. In den 1980er Jahren wurde hier ein Pharaonenfilm gedreht. Heute wäre so ein Projekt allerdings kaum mehr möglich. Ein großer Teil des Gebietes ist von Sträuchern überwuchert und in der Ferne sieht man die Kraftwerke und Industrieschlote von Kattowitz.

Während unseres „Umzugs” nach Deutschland besichtigten wir einen Tag lang Breslau. Eine Stadtführung war nicht eingeplant, aber wir hatten Glück, dass Marek hier zu Hause war. Er führte uns bei Abenddämmerung durch die verwinkelten Gassen seiner Stadt zu den Prachtbauten des 19. Jahrhunderts entlang des Oderufers. Spät abends setzten wir unsere Fahrt nach Sachsen fort und fanden am Ziel eine veränderte Situation vor. Während wir in Schlesien noch von einem professionellen Küchenteam versorgt worden waren, das sich Tag für Tag um kulinarische Abwechslung bemühte, mussten wir uns nun selbst bekochen. Anders als in vergleichbaren Jugendherbergen üblich, gab es in Polen nicht ständig Nudeln mit Tomatensoße sondern typisch schlesische Hausmannskost, inklusive Vorsuppe und Dessert. Schon in der ersten Kurve hinter Domaniewice begannen wir die fleischlastigen Mahlzeiten mit den deftigen Eintöpfen, Braten und Knödeln zu vermissen. Zwar hatte mich die Nachspeise Kisiel tief verwirrt, weil sie mit ihrer Kreuzung aus Wackelpudding und Nickelodeon-Schleim gar nicht in den Speiseplan passen wollte; doch selbst sie wollten wir alle zurück. Verwöhnt kamen wir also in das Wohnheim in Oberau, wo wir fortan nicht nur selber kochen, sondern auch putzen mussten. Drücken konnte sich da keiner. Selbst wer anfangs in den regelmäßig wechselnden Koch- oder Reinigungsgruppen ohne Arbeit blieb, bekam bald alle Hände voll zu tun. Denn schnell wurde die Jagd auf Fliegen in der Küche und im Speisesaal zum täglichen Problem. Mir ging dabei sogar einmal ein Fenster zu Bruch. Doch nicht ohne Erfolg; ich erwischte gleich drei Fliegen auf einmal.

In Oberau nutzten wir die zentrale Lage, um Tagestouren ins nahe gelegene Meißen sowie nach Leipzig und Dresden zu unternehmen. Alles war bequem per Bus und Bahn erreichbar. Meist wurden wir von Stadtführerinnen durch die City gelotst, in Dresden sogar von einer gebürtigen Polin, die alles zweisprachig erklärte. So konnte auch mal Tine vom Organisationsteam durchatmen, die sonst immer im Notfall als Übersetzerin einsprang. Die Stadtfahrten boten ganz nebenbei auch die Möglichkeit, um ein Lebenszeichen nach Hause zu funken. In Oberau und Domaniewice gab es nämlich kein Internet.

Unser Aufenthalt in Sachsen dürfte wohl endgültig gezeigt haben, dass bestimmte Stereotype ausgedient haben. Jeder Kursteilnehmer ist nun um eine Anekdote reicher, die helfen kann das Vorurteil vom polnischen Kleinkriminellen gründlich zu überdenken. Einer von drei Halbstarken des Dorfes, die wir spontan als Partygäste zu einer Feier einluden, hatte nämlich klebrige Finger. Ausgerechnet den Laptop von Mateusz aus Posen hatte er gemopst und seinen Teil dazu beigetragen, das alte Stereotyp auf den Kopf stellen. Da die Fahndung mit dem einzig verfügbaren Dorfpolizisten am nächsten Tag nur schleppend voran kam, mussten wir das Wohnhaus des Übeltäters selbst ermitteln. Nachdem wir es gefunden hatten, gab der Dieb den Computer dann auch reumütig wieder heraus.

In Erinnerung bleiben nicht nur diese Anekdote, zahllose Fotos sowie ein Wortschatz- und Grammatik-Upgrade. Das schönste Souvenir sind die Briefe und Karten, die großen und kleinen Aufmerksamkeiten, die wir uns am letzten Abend vor der Heimfahrt gegenseitig schrieben und bastelten. Im Flur des Wohnheims hing ein Umschlag für jeden Teilnehmer, in den man seinen persönlichen Abschiedsgruß stecken konnte. So wissen wir selbst jetzt noch, dass das Tandem nicht von begrenzter Dauer war. To tandem trwa (noch immer).

Holger Lühmann