Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Tandem 2006: Ustka an der polnischen Ostsee / Oberau in Sachsen (29.07. – 26.08.06)

Samstag, der 26. Juli 2006, das bedeutete für 36 Studenten, fünf Organisatoren und vier Lehrer Auftakt in ein vierwöchiges Sprachkursabenteuer. Lehrer und „Orgs“ hatten mit der Vorbereitung schon im Vorfeld alle Hände voll zu tun; für uns Teilnehmer – 18 Polen, 18 Deutsche – begann erst hier in Ustka der „Ernst des Lebens“.

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    CIMG0064 18.08.2005

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    Obraz 098 30.07.2006

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    Obraz 213 31.07.2006

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    Obraz 254 31.07.2006

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    Obraz 461 03.08.2006

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    Obraz 699 05.08.2006

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    Obraz 031-1 20.08.2006

 

Untergebracht waren wir im Ośrodek Kolonijny Bartek, einer Art Jugendherberge. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Dies war ein binationaler Sprachkurs – die Polen lernten deutsch, die Deutschen polnisch – und er begann mit der Begehung unserer Mehrbettzimmer: Die Orgs hatten uns zwar eingeschlechtig, aber national gemischt auf die Zimmer verteilt. Ich bewohnte einen Raum mit noch einer Deutschen und zwei Polinnen. Nach zwei Tagen des Miteinander-warm-werdens verstanden wir uns, wie auch die Übrigen, miteinander blendend, und nach unseren zwei Ustka-Wochen bangte es allen vor Oberau: Dort würden die Orgs Spaltung und neue Zimmerbelegung verfügen. Ob sie auch beim zweiten Mal solch glückliche Hand beweisen würden? Sie haben es, soviel vorab;-)

Am Montag nach Ankunft begann unser Sprachkurs. Das bedeutet in Praxis Montag bis Freitag 9 bis 12 Uhr klassischer Unterricht, bei dem ein Lehrer/eine Lehrerin uns Sprache und Kultur des Nachbarlandes vermittelt. Nachmittags trafen wir uns als Tandems, das bedeutete einen 90-minütigen Dialog, die Hälfte der Zeit in einer, die Hälfte in der anderen Sprache. Die deutsch-polnischen Gesprächspaare finden durch Losziehung zueinander. Bei der Themenbestimmung bestachen unsere Lehrer mit Erfindungsreichtum: Mal sollten wir über Religion, Mal über Kindheitserinnerungen, Mal über Tabuthemen des eigenen Landes sprechen.

Und wie gestaltete sich das „Tandemieren” rein optisch? 18 Paare strömten nach der Verlosung, Hefte und Wörterbücher unterm Arm, auseinander, okkupierten Bänke, Stühle, Mauern, Hängematten und Decken im Grünen und machten 1½ Stunden bemühte Konversation. Welch interkulturelle Ansammlung von öffentlicher Zweisamkeit!

In unserer „Freizeit” an den Nachmittagen und Abenden ließ sich oft das Phänomen der frei- und lernwilligen Arbeitsgruppe beobachten. Seine Genese begann mit einem ambitionierten Fleißmenschen, der sich an einem Tisch niederließ und den Kopf über seinen Aufzeichnungen senkte. In dieser Pose wirkte er auf die anderen wie Honig auf Bienen: In kürzester Zeit wurden es zwei, drei, vier, fünf … Köpfe über Heften, die ein bilinguales Stimmenkonzert an Fragen und Antworten anstimmten – das Phänomen der Lernpartys!

Die herkömmlichen, also abendlichen Partys, mit Musik und Tanz und – ja, ja, auch Wodka und Bier, die „pflegten” wir auch fleißig und ausdauernd: Sauna-Partys in Ustka, bei triefenden, weil geschlossenen Fenstern und glitschigem, weil „beschwitztem” Boden. Und trotz unserer Bemühungen um schalldichte Abriegelung gab es Feinde der nächtlichen Akustik: Pan Darek, den Besitzer des Ośrodek Kolonijny, die Bewohner des benachbarten Hauses und die Camper des anliegenden Zeltplatzes dürften eine Tandemphobie entwickelt haben.

Ustka ist ein Badeort an der polnischen Ostsee, der Strand und Meer zu bieten hat, in „unseren” zwei Wochen allerdings auch viel Regen und Donnergrollen. Wir hüpften bei Schauerwetter zum Rhythmus des „Hej”-Strandkonzerts und erklommen im Sturm die Wanderdünen von Łeba. Wir zauberten Strandburgen mit Ustka-Sand – diesmal bei Sonnenschein – und stellten im Laufe eines Nachmittags eine überwältigende Modenschau auf die Beine. Wir besuchten Danzig und Sopot und, auf unserem Weg nach Sachsen, Posen.

Und Oberau? Kein Strand, dafür weitläufige Wiesen, Felder, Weinberge und Stille. Für die anschließenden zwei Wochen nannten wir hier ein großzügiges Gutshaus unser Zuhause. Wir bewohnten herrschaftliche Mehrbettzimmer, nächtigten in königlichen Betten und schritten über eine geschichtsträchtige Steintreppe. Vor den Fenstern ein umwerfendes, in Restaurierung befindliches Schloss und ein meist strahlender, blauer Himmel. Die „Kleinheit” der Ustkabehausung war Geschichte, aber auch die Bequemlichkeit bei der Verkostung: vorbei die uns vorgesetzten Frühstücke, Mittag- und Abendessen, die zwar nie alle Mägen optimal gefüllt hatten, aber immerhin aufgetischt waren. In Oberau kombinierten uns die Orgs auch als Tandems zu binationalen sechser Putz- und Kochgruppen. Fortan hatte jeder einmal pro Woche Putz-, und einmal Küchendienst und – obwohl noch weniger Zeit für die phänomenalen Lernpartys – der Lernerfolg war einschlagend: Wer wüsste heut nicht was Nudelsieb, Kochtopf oder Dosenöffner auf polnisch heißt?

Auf Ustkas Sauna-Partys folgten die, diesen mindestens ebenbürtigen, Oberauer Scheunenpartys auf einem gespenstischen Dachboden, dessen Boden mehr Bretter als Boden war, und der den einen oder anderen bei seinen körperlichen Rockeinlagen zu verschlucken drohte. In diesem Dachboden fanden wir auch die perfekte Kulisse, zum einen für unsere düstere Vampirparty, zum anderen für ein friedhöfliches Theaterstück: Wir wagten uns an Mickiewiczs „Dziady” und führten den Polen ihren Klassiker auf polnisch, zwar mit Zettel in der Hand, aber in gebührender Theatralik vor. Mit Mickiewicz lernt man nämlich neben der Sprache zwischen den Zeilen auch einiges über polnische Kultur.

Den Polen offenbarte sich wiederum die deutsche Kultur u.a. in der Besichtigung Meißens und seines Porzellans, der Führung durch Dresden und seine gigantische Architektur und der Besteigung von Schloss Oberau mit all seinen Baustellen.

Wir waren 36 Teilnehmer, fünf Orgs und vier Lehrer und in den vier Wochen unseres Beisammenseins war sicherlich nicht alles eitel Sonnenschein. Aber am Tag der Trennung ergossen sich schmerzhafte Eintracht und herzzerreißende Abschiedstränen auf die Veranda des Gutshauses zu Oberau und 45 Seelen strömten trauernd, aber sprachkundiger in der Fremdsprache, aufgeklärter in der benachbarten Kultur und reicher an Freundschaften auseinander.

Silvia Kribus