Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Erster Beischlaf im Kinosaal

5. Trinationales Stipendiatenseminar in Nečtiny vom 23. – 26. Februar 2006

Es war eine abenteuerliche Anfahrt auf der vereisten, waldgesäumten Landstraße durch den winterlichen Abend, aus dessen Dunkelheit unermüdlich Schneeflocken im Scheinwerferlicht auftauchten, um im Kampf mit den Scheibenwischern um die Windschutzscheibe letztlich doch beiseite geschoben zu werden. Beeindruckt von diesem Erlebnis und dem Anblick des erreichten Ziels, einem riesigen Schloss mit Turm und Zinne in der kleinen tschechischen Ortschaft Nečtiny, wäre es kaum eine Überraschung gewesen, von einem vornehmen, blassen Herrn mit sehr langen Eckzähnen in Empfang genommen zu werden.

  • Anna mit Willy (Andreas) und Maja (Jana)

    Anna mit Willy (Andreas) und Maja (Jana)

  • Auditorium

    Auditorium

  • Biene Maja-Szene

    Biene Maja-Szene

  • Brainstorming im Kreis

    Brainstorming im Kreis

  • Cara, Magda und Pavla, die Organisatorinnen

    Cara, Magda und Pavla, die Organisatorinnen

  • Die drei GFPS-Vorstände

    Die drei GFPS-Vorstände

  • Die Krakauer: Ania, Daria, Tomek, Wiebke und Justyna

    Die Krakauer: Ania, Daria, Tomek, Wiebke und Justyna

  • Katkas Vortrag über den EU-Beitritt der Türkei

    Katkas Vortrag über den EU-Beitritt der Türkei

  • Marcin und seine Probleme mit dem Laptop

    Marcin und seine Probleme mit dem Laptop

  • Martin, der das Wort Beischlaf erwähnte

    Martin, der das Wort Beischlaf erwähnte

  • Mittagessen

    Mittagessen

  • Philipp referiert über die deutsch-polnischen Beziehungen

    Philipp referiert über die deutsch-polnischen Beziehungen

  • Romek ist gestylt für die Party

    Romek ist gestylt für die Party

  • Schlange stehen und Futterneid

    Schlange stehen und Futterneid

  • Spaziergang im Schnee

    Spaziergang im Schnee

  • Was sieht Peter da?

    Was sieht Peter da?

  • Workshop Biene Maja

    Workshop Biene Maja

 

Doch erfreulicher Weise war genau das Gegenteil der Fall, da uns Pavla, Magda und Cara vom tschechisch-polnisch-deutschen Organisationsteam willkommen hießen und auf die geräumigen Zimmer verteilten. Ihnen ist es ganz wesentlich zu verdanken, dass dieses bisher größte Trinationale Stipendiatenseminar nach einigen erfahrenen Stimmen auch eines der besten, auf jeden Fall aber für alle rund 60 Beteiligten ein sehr schönes Erlebnis werden sollte. Dabei war es eigentlich gar nicht trinational.

[Photo] Gruppenfoto
Gruppenfoto.

Neben den GFPS-Stipandiaten, -Vorständen, -Stadtgruppenmitgliedern und Freunden aus Tschechien, Polen und Deutschland, reiste nämlich als erster belarussischer GFPS-Stipendiat auch Andrei an, der einen Semesteraufenthalt in Berlin verbracht hatte. Dementsprechend wurde auch gleich ein Wettbewerb um die zukünftige Namensgebung der Veranstaltung ausgeschrieben, in welchem sich die Bezeichnung »QUADRAT« nach zähen Abstimmungsdurchgängen vorerst gegen die harte Konkurrenz tiefgeistiger Wortschöpfungen wie »KWATRO« oder schlicht »GABEL« durchzusetzen vermochte. Das Organisationsteam jedenfalls konnte zuletzt stürmischen, dankbaren und hochverdienten Beifall entgegen nehmen. Sogar ein dreisprachiges »TRINAT-Wörterbuch« fand sich in den an alle ausgeteilten Unterlagen, und obwohl selbiges nicht in vollem Umfang zur Anwendung kam (»Kdo to tam leží na zemi?« = »Wer liegt denn da auf dem Boden?«) waren auch die Abende ebenso lang wie vergnüglich.

Zentrale Rolle spielten jedoch die Vorträge der Stipendiaten, unabhängig davon, ob sie einen Bericht über ihren Aufenthalt oder eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema hatten. Hierbei wurde es sehr interessant, und im weiten Feld zwischen Bigos-Definition und Kulturschock im Eigenversuch taten sich ungeahnte Fragestellungen auf: »Dzien dobry, panie Doktorze«, »Wo ist eigentlich Liberec?«; »Muss man trinken?«, wenn im spätvormittäglichen Bericht zu polnischen Spezialitäten als Verköstigungsmaterial Wódka Zoladkowa gereicht wird? Und was heißt noch gleich »Wagenumlaufgeschwindigkeit« auf Polnisch? Insgesamt ergab sich, abgesehen vielleicht von einer thematischen Häufung der Erläuterung polnisch-deutscher Beziehungen, eine ungewöhnliche und erfrischende fachliche Bandbreite im Referatsteil des TRINAT, der somit kurzweilig, interessant und witzig wirkte.

Auf das eigentliche allgemeine Thema des Treffens, »Kultur durch Kommunikation – Kommunikation durch Kultur. Was macht Tschechien tschechisch?«, wurde explizit am Kino-Abend eingegangen. Ein von der Theologie zur Kritik tschechischer Filme übergelaufener Referent gab einen Zustandsbericht der nationalen Filmlandschaft, welche er mit einiger Vehemenz verbal zerpflückte. Vermittelt wurde dies den nicht der Sprache mächtigen Zuhörern durch eine konsekutive Übersetzung ins Deutsche, während derer die Verwendung des Begriffs »erster Beischlaf« zu tumultartigen Reaktionen in den Sitzreihen führte.

Einer der laut Vortrag wenigen guten aktuellen Filme tschechischer Produktion, welcher sich gewisser Maßen um den erwähnten Begriff drehte, wurde dann auch gezeigt. »Langeweile in Brünn« war überhaupt nicht langweilig, und so kam dieser Programmpunkt ebenfalls gut an. Sogar der abspielende Laptop schien in entscheidenden Szenen derartig angerührt, dass er sich nur durch intensive physische Zuwendung dazu bewegen ließ, den Film ohne längere Unterbrechungen zu zeigen.

Höhepunkt des Wochenendes war jedoch einigermaßen offensichtlich der gemeinsame Workshop (Videoaufzeichnung), in welchem sich bunt zusammengewürfelte Gruppen mit eigenen Interpretationen tschechischer Legenden beschäftigten. Die großartigen Präsentationen ließen die Stimmung im Zuschauerraum in ungeahnte Höhen lautstarken Vergnügens ansteigen. Endlich wurde klar, warum Biene Maja und ihr Kumpel Willi immer so gut drauf sind, wer den ersten Maulwurf in die Erdumlaufbahn geschossen hat und unter welchen Umständen der bisher nahezu unbekannte deutsche Vetter Jára da Cimrmans ums Leben kam.

Tja, und »was sollen wir trinken«? Auch auf diese im Verlauf des Abends mehrfach vorgetragene Frage war mit dem schmackhaften tschechischen Bier eine ebenso schnelle wie einfache Antwort gegeben. Einfach zumindest solange »Der Barmann« anzutreffen war, welcher sich nach einem einleitenden Mißverständnis bezüglich der Getränkehoheit im Verlauf der restlichen Abende doch im großen und ganzen recht umgänglich gab (was sich für ihn finanziell allerdings auch gelohnt haben dürfte).

Die gruppeninterne Verständigung war im Übrigen scheinbar kein Problem. Der Anteil, den das Wörterbuch daran hatte, ist jedoch kaum objektiv einzuschätzen (»Nebud' tak ješitný.« = »Sei nicht so dünkelhaft.«). Schwierigkeiten in der Verständigung gab es demnach eher auf inhaltlicher, denn auf sprachlicher Ebene, wenn es z.B. darum ging, Männern zu verdeutlichen, was mit Feminismus gemeint ist, oder die Pläne zum Bau eines »Zentrums gegen Vertreibungen laquo diskutiert wurden. Derartige Auseinandersetzungen sorgten jedoch für angeregte und äußerst interessante Gespräche und nicht für persönliche Fehden. Sogar die sich andeutende, ernsthafte polnisch-deutsche Auseinandersetzung nationaler Ehrgefühle in der Frage, ob denn nun Pączki oder Berliner besser schmecken, konnte durch deeskalierende Intervention der Diskussionsmoderatorin abgewendet werden.

So ist es wohl kaum übertrieben wenn hier behauptet wird, daß alle Beteiligten mit einem zufriedenen Lächeln auf das erlebte Wochenende zurück blicken. Und wenn sich für das schon vor Ort zusammengekommene Organisationsteam des kommenden TRINAT / QUADRAT in Deutschland auch noch ein (Zitat) »Quoten-Tscheche« findet, sollte es endgültig keinen Zweifel mehr an der Eindeutigkeit der Antwort auf die abschließende Frage geben: »dy se zase uvidíme?« = »Wann sehen wir uns wieder?«.

Felix Schreiter