Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V.

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Ein Besuch in Lukaschenkos Reich

– Belarusreise der Initiative Mittel- und Osteuropa vom 22.-28. Mai 2005 –

In dieser Geschichte wird es um saubere Straßen, den KGB, Frauen, die Blumen pflanzen, einen kleinen, aber ziemlich mächtigen Mann mit Schnauzer und Glatze, einen neuen GFPS-Stipendiaten, den »Tag der Zitrone« und sehr mutige, junge Menschen gehen. Sie beginnt und endet in Berlin, spielt aber hauptsächlich in Minsk und Gomel.

  • Nach der Informationveranstaltung im Institut fuer Deutschlandstudien

    Nach der Informationveranstaltung im Institut fuer Deutschlandstudien 25.05.2005

  • Eindrücke aus Minsk

    Eindrücke aus Minsk 25.05.2005

  • Treffen mit Initiativen-Vertretern in Gomel

    Treffen mit Initiativen-Vertretern in Gomel 26.05.2005

  • Der neue GFPS Stipendiat Andrei

    Der neue GFPS Stipendiat Andrei 27.05.2005

  • Letzter Abend in Minsk

    Letzter Abend in Minsk 27.05.2005

  • Informationsaustausch bei ZBS

    Informationsaustausch bei ZBS 27.05.2005

  • Abschied vor der Rückfahrt nach Berlin

    Abschied vor der Rückfahrt nach Berlin 28.05.2005

 

Das geordnete Leben in der belarussischen Hauptstadt verrät auf den ersten Blick nichts davon, was hinter den Kulissen passiert. Die Geschäfte bieten alles, einige U-Bahnhöfe sind deutlich schöner als in Hamburg oder München, der Verkehr ist etwas chaotisch und die alten Frauen, die an den Straßenrändern Blumen verkaufen, erinnern ein wenig an Polen. Auf den zweiten Blick fallen die vielen Männer auf, die in Uniform durch die Stadt laufen oder einfach nur da stehen. Manche sehen freundlich aus; andere gleichen eher dem Typ »unfreundlicher-Disco-Türsteher«. In den Geschäften stehen erstaunlich viele Verkäuferinnen hinter den Theken, die sich erstaunlich wenig für die Kunden interessieren.

Vielleicht hätten wir uns nicht weiter an diesen kleinen Unterschieden gestört, wenn wir einfach eine Woche Urlaub in Belarus gemacht hätten. Da die »Initiative Mittel- und Osteuropa« (IMOE) der Robert Bosch Stiftung aber kein Reiseveranstalter ist und nicht Erholung vom Unialltag auf dem Programm stand, fielen sie uns irgendwann doch auf – die kleinen Unterschiede. Ziel der Reise nach Belarus war es, einen Einblick in die zivilgesellschaftliche Arbeit in dem Land zu bekommen und Kontakte zu Organisationen vor Ort zu knüpfen. Deshalb hatten sich 18 Mitglieder polnischer, tschechischer und deutscher Vereine aus der IMOE zusammen gefunden – unter ihnen auch drei Mitglieder der GFPS.

Was ist aber nun mit den kleinen Unterschieden?

Neben den Frauen, die im sommerlichen Minsk fleißig Blumen in verschiedene Beete steckten oder in größeren Gruppen die Straße fegten, gab es auch weniger erfreuliche Abweichungen. Dazu zählen zweifellos die zahlreichen Milizionäre, Polizisten oder auch KGB-Mitarbeiter, die jedoch meist kein Schild mit Hinweis auf ihre Mitgliedschaft in dieser Vereinigung tragen. Ihre Aufgabe ist es, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Eine Ordnung allerdings, die nicht auf demokratischen Grundlagen basiert, sondern im Wesentlichen auf den Vorgaben eines Mannes und seines Machtapparats. Mit diesen Vorgaben mögen sich einige Menschen arrangieren, andere ertragen sie. Sobald man sich ihnen aber entgegen stellt und eigene Ideen zu Freiheit, demokratischer Partizipation oder Menschenrechten entwickelt, kann es ungemütlich werden.

Der Verantwortliche für dieses diktatorische Regime östlich von Polen heißt Aleksander Lukaschenko. Die Mehrheit der Belarussen machte ihn 1994 in weitestgehend demokratischen Wahlen zu ihrem Präsidenten. Mit ihm als einem einfachen Mann des Volkes verbanden viele die Hoffnung auf ein Ende der Korruption und Vetternwirtschaft, die in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit gewachsen waren. Lukaschenko baute seine Macht über die Jahre hinweg aus, zuletzt ließ er sich im Oktober 2004 durch eine Verfassungsänderung bei den wenig freien und fairen Parlamentswahlen die Möglichkeit weiterer Amtszeiten als Präsident zusichern.

Bei einer Stadtführung durch Minsk haben wir ihn mit eigenen Augen gesehen! Als unsere Gruppe auf dem völlig leeren Oktoberplatz – einem zentralen Platz in der Minsker Innenstadt – stand, war mit einem Mal kein Fahrzeug mehr auf dem sonst so viel befahrenen Prospekt der Unabhängigkeit vor dem »Palast der Republik« zu sehen. Einige Augenblicke später fuhren zwei dunkle Autos mit Blaulicht bis direkt vor die Treppe zum Palast, hielten abrupt an, und er stieg aus. Am anderen Ende des Platzes, etwa 100 Meter entfernt, stand eine Schulklasse und winkte. Er, der übrigens deutlich kleiner ist, als dies Fernsehberichte, Wachsfiguren und andere Werbemaßnahmen suggerieren wollen, winkte kurz zurück und eilte in das Gebäude.

Lukaschenko ist sehr daran gelegen, seine Macht zu stabilisieren. Den Preis dafür zahlen die Menschen in Belarus, die nach außen isoliert und nach innen eingeengt leben. Während der fünf Tage in Minsk und anderen Städten (Brest, Gomel, Grodno, Mogilev und Vitebsk) haben wir viele junge Menschen kennen gelernt, die nicht bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Sie engagieren sich in verschiedenen Initiativen für die Zivilgesellschaft. Sei es der Belarussische Studentenverband (ZBS) mit einem Studenten Forum gegen die willkürliche Behandlung unliebsamer Studierender, der Verein Sfera mit dem Seminar Grenzfall Belarus zur Kultur und Geschichte des Landes zusammen mit der GFPS und GFPS-Polska oder der Verein Hart mit seinem Projekt »Limo«.

Sergej, den wir in Gomel trafen hat sich letzteres Projekt ausgedacht: »Ein großes Problem ist, dass die Menschen in Belarus Angst vor der Macht haben. Mit dem Projekt ›Limo‹ möchten wir diese Angst bekämpfen. Das geht am besten, wenn die Menschen über die Regierung lachen«. Sergej verteilte mit seinen Mitstreitern Flyer, die alle zehn Millionen Belarussen im Namen der Regierung dazu aufforderten, den Bauch einzuziehen. Eine andere Idee ist die Einführung eines »Tags der Zitrone«. Als Sergej von Gomel nach Minsk fahren wollte, um am 1. April auf diesen höchst wichtigen Zitronentag aufmerksam zu machen, fing ihn die Miliz zunächst am Bahnhof ab, am Flughafen verweigerte man ihm dann das Ticket. Als der junge Mann letztendlich doch noch in der Hauptstadt ankam, verhaftete man ihn schließlich in einem Café mit der Begründung, er habe zu viel geflucht.

Egal ob Projekte zur Stärkung der Studentenrechte, Diskussionen zu belarussischen Geschichte mit dem Ziel, die eigene Identität zu stärken oder der »Tag der Zitrone«, ist allen Aktionen gemein, dass sie viel Mut und Idealismus erfordern. Studierende werden aufgrund ihres Engagements oft in der Universität benachteiligt oder verlieren ihren Studienplatz, Berufstätige ihren Job und manch einer kommt sogar ins Gefängnis, wenn er gar zu aufmüpfig wird. Alle diese Menschen, denen wir begegnet sind, riskieren sehr viel, um zu einem demokratischeren und freieren Leben in Belarus beizutragen.

Die zahlreichen Bewerbungen und die große Zustimmung bei unseren Gastgebern in Belarus beweisen, wie groß das Potential für dieses Stipendienprogramm ist. Die GFPS kann so mit ihren Möglichkeiten junge Menschen, die sich in Belarus für eine demokratischere und freie Gesellschaft engagieren, unterstützen.

Aktuelle Informationen über Belarus findet ihr bei Belarusnews.

Sebastian Wehrsig